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s L i b e r a l e T a g e b u c h
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Sammlung
Originaldokumente aus „Das Liberale
Tagebuch“, http://www.dr-trier.de |
DLF-Interview am 25. Juli 2005, 7:20 Uhr "Steuererhöhung ist das völlig falsche
Signal" FDP-Generalsekretär Dirk Niebel fordert vereinfachtes
Steuersystem Moderation: Oliver Thoma FDP-Generalsekretär Dirk Niebel hat Steuersenkungen
gefordert, um die Wirtschaft anzukurbeln. Zur Gegenfinanzierung sollen Bürokratie
und Subventionen abgebaut werden. Gleichzeitig sprach er sich für
betriebliche Bündnisse für Arbeit und ein einfacheres Steuersystem aus. Thoma: Am Vormittag wird noch um letzte Details gerungen im
Bundesvorstand, dann wird auch die FDP ihr Wahlprogramm präsentieren. Ein
Programm, das ja so nie Wirklichkeit werden kann, denn an die Macht kommen
die Liberalen - wenn überhaupt - nur mit der Union, und die wird ihre Pläne
in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen wollen, dann wird sich zeigen, wie
viel übrig bleibt von diesem FDP-Wahlprogramm. Aber so ist das nun mal in der
Demokratie und natürlich wollen die Wähler wissen, was die FDP nun eigentlich
will nach der Bundestagswahl. Also begrüße ich jetzt den Generalsekretär Dirk
Niebel. Schönen guten Morgen. Niebel: Ja, guten Morgen. Thoma: Fangen wir gleich mit dem Hauptreizthema an, der
Mehrwertsteuer. Da haben Sie ja schon gesagt, und eigentlich alle wichtigen
Leute in der FDP, dass Sie daran die Koalition mit der Union nicht scheitern
lassen würden. Also müsste ja jetzt in Ihrem Programm drinstehen:
Mehrwertsteuererhöhung wollen wir zwar nicht, aber lässt sich nicht
verhindern? Niebel: Nein, natürlich nicht. Wir wollen keine
Mehrwertsteuererhöhung, da haben Sie völlig recht,
und wir haben als einzige Partei einen Gesetzentwurf für ein neues
Steuersystem vorgelegt, und bei unserem Entwurf brauchen wir sie auch nicht.
Eine Steuererhöhung ist das völlig falsche Signal, es geht in die falsche
Richtung, wir brauchen Steuerentlastung, dafür haben wir in unserem Programm
Vorschläge gemacht. Und die Erhöhung der Mehrwertsteuer zum Senken von
Beiträgen für die Arbeitslosenversicherung ist nicht nur das "Prinzip
Ökosteuer", man nimmt den Menschen Geld weg, stopft es in ein soziales
Sicherungssystem, das eigentlich reformiert werden müsste und verlagert die
Reformbedürftigkeit in die Zukunft. Es ist sogar auch noch deshalb besonders
unsinnig, weil gerade in der Arbeitslosenversicherung nun am meisten
Effizienzgewinne im System selbst gewonnen werden können. Von daher ist es eine ganz klare programmatische Aussage,
und wenn Sie darauf anspielen, dass wir nicht alles zu einhundert Prozent
durchsetzen können, dann haben Sie völlig Recht, das ist leider so. Aber
erstens wollen die Wähler wissen was wir wollen, und zweitens, auch ein
Koalitionspartner braucht einen Partner und kann auch nicht alles zu
einhundert Prozent durchsetzen. Thoma: Aber die Wähler, die verlassen sich natürlich schon
darauf, dass Sie diese Politik auch machen wollen. Müssten Sie nicht eigentlich
immer dazuschreiben, was sich vielleicht möglicherweise nicht durchsetzen
lässt? Niebel: Nein, natürlich nicht. Sie müssen so stark werden wie
irgend möglich. Mehr FDP heißt weniger Steuern in diesem Falle. Und je
stärker man ist, desto besser ist die Verhandlungsposition. Und ich habe ja
auch die Stimmen aus den bayerischen Bergen festgestellt, wo dann Herr
Stoiber sagte: "Die FDP wird dann schon umfallen in den
Verhandlungen". Also, da muss ich mit einem gewissen Maß an Neid schon
feststellen: Die Partei mit der wenigsten Erfahrung bei
Koalitionsverhandlungen, das ist die CSU. Thoma: Nun kommen wir vielleicht mal ins Detail. Sie haben ein
konkretes Gegenkonzept, wie man Mehrwertsteuererhöhungen vermeiden kann. Wie
sieht das denn aus? Niebel: Wir haben einen Steuerentwurf als Gesetzentwurf
vorgelegt, wo wir die Betriebe und Menschen in diesem Land um siebzehn bis
neunzehn Milliarden Euro entlasten können, bei einer Gegenfinanzierung von
ungefähr fünfunddreißig Milliarden Euro. Das setzt sich zusammen durch den
Wegfall von Sondertatbeständen im Steuersystem, durch den Abbau von
Subventionen und durch den Abbau von Bürokratie. Und das haben wir
detailliert, unter Wahrung aller Grundrechenarten, vorgerechnet und als
Gesetzentwurf vorgelegt. Das ist unser Konzept, das wollen wir durchsetzen. Thoma: Die FAZ meldet auch schon, Ihr Parteiprogramm hätte
schon Abschied genommen von wichtigen Sachen, auch zum Beispiel von der
Forderung nach Abbau von Öko-Steuer und Solidaritätszuschlag. Heißt das, auch
da haben Sie schon gesagt, das wird letzten Endes nicht machbar sein, weil es
nicht finanzierbar ist? Niebel: Nein, überhaupt nicht. Wir haben auch in unserem
Programm festgestellt, der Abbau von Solidaritätszuschlag und Öko-Steuer
bleibt weiter auf der Tagesordnung. Unser Schwerpunkt ist jetzt aber erst mal
ein einfaches, niedriges und gerechtes Steuersystem mit einem Stufentarif von
fünfzehn, fünfundzwanzig, und fünfunddreißig Prozent, der den Betrieben Geld
zum Investieren und den Menschen Geld zum Konsumieren lässt. Denn unser
Steuersystem ist ja nicht Selbstzweck, es dient dazu, die Wirtschaft
anzukurbeln und die Massenarbeitslosigkeit zu bekämpfen. Thoma: In der Union gab es am Wochenende ja auch Stimmen, die
Mehrwertsteuer ein bisschen weichzuspülen, also zum Beispiel Windeln und
andere Kinderprodukte nur mit der halben Mehrwertsteuer zu belasten. Was
halten Sie denn davon? Niebel: Also, man muss natürlich irgendwann mal überlegen, ob die
Produkte, die dem ermäßigten Mehrwertsteuersatz unterliegen - so heißt das ja
-, ob die noch zeitgemäß sind. Und da kann man gerne drüber reden; aber jetzt
überhaupt diese Diskussion zu benutzen, um wieder zu überlegen, wo man
vielleicht mehr Geld rauskriegen kann, ist der falsche Ansatz. Wir brauchen
eine entlastende Steuerpolitik, damit wieder Dynamik in unser
Wirtschaftsleben kommt, nur das ist der Ansatz, um Arbeitslosigkeit bekämpfen
zu können. Thoma: Das Programm der FDP hat ja das Motto "Arbeit hat
Vorfahrt", das könnte eigentlich wohl für alle Parteiprogramme gelten.
Aber bei der FDP gelten - glaube ich - andere
Vorfahrtsregeln, da bleiben auch mehr Leute auf der Strecke? Niebel: Nein, wir sind die Partei mit dem
Arbeitnehmerorientiertesten Programm, denn wir wollen eine Politik gestalten,
die es dem Menschen ermöglicht, überhaupt erst mal Arbeitnehmer werden zu
können, beziehungsweise es bleiben zu können. Deswegen müssen wir neben
unserem Steuersystem den Mehltau von Deutschland wegkriegen. Wir brauchen Dynamik im Arbeitsmarkt, wir brauchen ein
flexibles Arbeitsrecht, das dazu dient, dass eingestellt wird und nicht, dass
Einstellung verhindert wird. Wir brauchen Abbau von Bürokratie und andere
Formen der sozialen Sicherungssysteme. Denn die maroden sozialen
Sicherungssysteme sind einer der Hauptbelastungspunkte des Faktors Arbeit,
das schafft Kosten. Kosten führen dazu, dass Menschen nicht eingestellt
werden, und dass Arbeitsplätze verlagert werden. Thoma: Nun hat der FDP-Chef Guido Westerwelle von einer
Schmalspur-Agenda gesprochen, und so die Arbeitsmarktreform der
Bundesregierung kritisiert. Viele Menschen haben den Eindruck, dass ihnen,
wenn die FDP regiert, erst richtig in die Taschen gegriffen wird. Was tun Sie
gegen dieses Image der sozialen Kälte? Niebel: Also, das Sozialste ist nicht die Höhe einer
Transferleistung, sondern die Möglichkeit, sich durch eigene Hände Arbeit
seinen Lebensunterhalt selbst verdienen zu können. Das bedeutet Arbeit hat
Vorfahrt insofern, als das man Arbeitsplätze schaffen muss. Wir brauchen
betriebliche Bündnisse für Arbeit, die es ermöglichen, unter Rücksicht auf
die Belange des Betriebes Arbeitsplätze zu sichern. Wir brauchen Spielräume,
die den Menschen die Chance geben, überhaupt wieder mitmachen zu dürfen. Die Agenda 2010, die Herr Westerwelle als
Schmalspur-Agenda bezeichnet hat, ist das insofern, als das sie in die
richtige Richtung geht. Aber sie ist nicht konsequent durchgeführt worden,
und vor allem ist den Bürgerinnen und Bürgern nicht klargemacht worden, was
das Ziel ist. Das Ziel muss sein, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder
noch soziale Sicherungssysteme haben werden, und das Ziel muss sein, dass
auch die Menschen, die jetzt im Moment aus dem Erwerbsprozess ausgeschlossen
werden, wieder echte Chancen bekommen. Thoma: Wieso haben die Menschen nun trotzdem das Gefühl, dass
es eine Politik der sozialen Kälte ist bei Ihnen? Niebel: Das können Sie noch drei Mal wiederholen, es stimmt
dennoch nicht. Das Problem ist, dass sehr viele andere Parteien eigentlich
alle immer erst mal an das Kollektiv glauben, Vater Staat wird's schon
richten, und der kleine Michel mit der Schlafmütze ist weniger der mündige
Bürger, sondern mehr der Untertan. Wir sind der Ansicht, der mündige Bürger
muss sein Leben auch selbst in die Hand nehmen dürfen, und nicht alles von
irgendwelchen Kollektiven aufgedruckt kriegen. Deswegen wollen wir hier die
Verwaltung zurückfahren, und den Menschen wieder selbst die Möglichkeit
geben, ihre Dinge in die eigene Hand zu nehmen. Thoma: In der vergangenen Woche hatte ja Schwarz-Gelb in den
Umfragen keine Mehrheit mehr, das liegt natürlich vor allem auch am
Linksbündnis, das immer stärker wird, in Ostdeutschland sogar stärkste Kraft.
Die CDU hat dieses Linksbündnis im Osten vor allem als Gegner erkannt, Sie
auch? Niebel: Nun, die PDS m. L., also mit Lafontaine, ist mit
Sicherheit ein Sammelbecken für politisch Frustrierte. Uns als FDP kann das
vom Parteienspektrum her natürlich nicht gefallen. Auf der anderen Seite
stellen wir fest, dass alle anderen Parteien - auch die Union in
Ostdeutschland -, sich nach links öffnen; das macht uns ein breites Spielfeld
in der Mitte der Gesellschaft auf. Und alle diejenigen, die früher noch als
Neue Mitte vielleicht bezeichnet wurden, suchen eine politische Heimat. Mit
unserem Programm, mit unserem finanzpolitischen, arbeitsmarktpolitischen,
aber auch mit unseren Bürgerrechtsvorschlägen sind wir ein attraktives
Angebot für diese Menschen, so dass wir richtig gut werden können. Thoma: Also Sie glauben nicht, dass sie Verlierer werden, weil
mit der neuen Linkspartei dann eher eine große Koalition wahrscheinlich wird,
sondern doch der große Gewinner? Niebel: Also, wer von einer großen Koalition träumt, der wacht
meistens mit einem Linksbündnis auf. Und sie haben ja auch schon die Äußerung
aus der SPD gehört, sobald es eine Mehrheit gibt, wird es eine rot-rot-grüne
Regierung, und sei sie nur toleriert, geben. Und deswegen ist es unsere
Aufgabe, so stark zu werden, dass das nicht möglich ist. Was eine große Koalition
anbetrifft, das wissen wir aus Berlin oder Baden-Württemberg oder auch nur
von dem so genannten Job-Gipfel. Das ist immer kleines Karo, kleinster
gemeinsamer Nenner, das brauchen wir nicht, um unsere Probleme zu lösen, da
brauchen wir eine regierungsfähige Mehrheit. Thoma: Ein Wort noch vielleicht zu den Terroranschlägen. Da ist
die Angst ja jetzt auch in Deutschland groß geworden. Auch da können Sie
möglicherweise mit Ihrem Programm noch anecken, weil Sie zum Beispiel, was
die Videoüberwachung angeht, dann doch Einschränkungen wollen. Also Sie
wollen nicht, dass sie in diesem Maße stattfindet wie das ja auch Otto Schily
als Bundesinnenminister im Moment plant. Also könnte es da auch noch
Klärungsbedarf mit der Union geben? Niebel: Ich glaube eher, dass hier das Angebot der FDP genau das
ist, was die Bürgerinnen und Bürger wollen. Wir wollen Sicherheit in diesem
Land, Sicherheit ist die Voraussetzung für Freiheit, und wir wollen keinen
Überwachungsstaat. Und die FDP hat in den vergangenen Jahrzehnten gezeigt,
dass sie der Garant dafür ist, hier die notwendigen Sicherheitsbedürfnisse
auf der eine Seite, aber auch die individuellen Freiheitsrechte auf der
anderen Seite in einem vernünftigen Augenmaß abzuwägen. Und das werden wir
auch in Zukunft tun. Thoma: Halten Sie denn auch jetzt die Sperrung des Luftraums
für Kleinflugzeuge in Berlin für eine Überreaktion? Oder haben Sie auch durch
diese angebliche Sicherheitslücke Angst bekommen? Niebel: Ich sage Ihnen persönlich, ich bin immer davon
ausgegangen, es gäbe schon längst ein Flugverbot über dem Regierungsbezirk.
Ich finde es unverantwortlich, dass wir es nicht haben. Thoma: Das war FDP-Generalsekretär Dirk Niebel im
Deutschlandfunk-Gespräch, herzlichen Dank und einen schönen Tag. Niebel: Gerne, Ihnen auch. |