D a s L i b e r a l e T a g e b u c h |
Sammlung
Originaldokumente aus „Das Liberale
Tagebuch“, http://www.dr-trier.de |
Vertrauen in Deutschland - eine Ermutigung Berliner Rede 2004 von Bundespräsident Johannes
Rau 12. Mai 2004 I. Das ist die letzte "Berliner Rede", die
ich als Bundespräsident halte. Ich habe in den vergangenen Jahren bei dieser
Gelegenheit meine Position zu grundsätzlichen Fragen formuliert. Ich habe
Orientierung zu geben versucht, wie die Menschen sie von den politischen
Repräsentanten ihres Landes erwarten. Ich habe über die Integration von
Zuwanderern gesprochen, über Fortschritt nach menschlichem Maß, über die
notwendige Gestaltung der Globalisierung und über Deutschlands Rolle in der
Welt. Ich will heute über das Thema sprechen, das ich in
der politischen Debatte derzeit für das wichtigste halte. Und ich wende mich
dabei an alle, denen die Zukunft unseres Landes am Herzen liegt - an die, die
heute Verantwortung tragen und auch an die, die Verantwortung übernehmen
könnten und übernehmen müssten, damit unser Land aus einer schwierigen Lage
herauskommt und neue Zuversicht und neue Dynamik gewinnt. Ich meine nicht die Steuerpolitik, ich rede nicht über das Renten-
oder das Gesundheitssystem. Ich rede auch nicht über den notwendigen Umbau
des Föderalismus, nicht über die dringend erforderliche Veränderungen in
unserem Bildungswesen und auch nicht über die gerechte Umgestaltung des
Sozialstaats. Nein, ich will über das sprechen, was die Grundlage
ist für jegliche Veränderung. Ich will über das sprechen, was nach meiner
Erfahrung die notwendigen Veränderungen in unserem Land überhaupt erst
möglich macht: Ich rede von Vertrauen und Verantwortung. II. Seit Jahren schon wird uns ein Bild immer wieder vor
Augen gestellt: Wir stehen vor einem riesigen Berg von Aufgaben und
Problemen. Wenn wir nicht alles anders machen als bisher, so drohen uns,
heißt es, Niedergang, Zusammenbruch, Abstieg oder andere Katastrophen. Untergangsszenarien und Apokalypsen sind ja
eigentlich Mittel von politischen Außenseitern, die gesellschaftliche
Veränderungen erzwingen wollen. Heute kommen solche Beschreibungen oft auch von
Verantwortlichen aus der Mitte von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Das Ziel ist das Gleiche:
Untergangsszenarien sollen mithelfen, bestimmte Ziele durchzusetzen und dafür
Mehrheiten zu gewinnen. Heute, da so viel von Zukunft die Rede ist, ist so
wenig Zuversicht zu spüren, so wenig Selbstvertrauen und so wenig Vertrauen
in die Zukunft. Viele scheinen von der Zukunft vor allem Schlechtes zu
erwarten. Dafür gibt es manchen Grund, und viele Sorgen sind berechtigt. Entscheidend ist aber: Wo Vertrauen fehlt, regiert
Unsicherheit, ja Angst. Angst vor der Zukunft ist der sicherste Weg, sie
nicht zu gewinnen. Angst lähmt die Handlungsfähigkeit und trübt den Blick für
das, was in Staat und Gesellschaft tatsächlich grundlegend verändert werden
muss, was neuen Bedingungen angepasst werden soll und was auf jeden Fall
bleiben muss. Die Zukunft kommt ja nicht einfach auf uns zu. Wir
müssen sie nach unseren eigenen Vorstellungen gestalten. Wir wollen
schließlich, dass wir auch in Zukunft friedlich und in Freiheit miteinander
leben können - in einer Gesellschaft, in der Leistung etwas gilt und die
Gerechtigkeit und Solidarität lebt. Wenn wir diese Zukunft gestalten wollen, wenn wir
sie menschlich gestalten wollen, dann brauchen wir zweierlei: Vertrauen in
die, die für uns Verantwortung tragen und die Bereitschaft, selber
Verantwortung zu übernehmen. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir die
notwendigen Veränderungen schaffen können. Genauso fest glaube ich aber, dass
der Mangel an Vertrauen und Verantwortungsbereitschaft der eigentliche Grund
für die massive Verunsicherung ist, für die an vielen Stellen pessimistische
Stimmung und für die mangelnde Kraft zur Veränderung. Wir alle wissen: Vertrauen kann man nicht anordnen,
nicht befehlen. Vertrauen kann man nicht beschließen. Vertrauen muss wachsen.
Vertrauen wächst zwischen einzelnen Menschen, in Gemeinschaften und muss eine
ganze Gesellschaft prägen. Ohne Vertrauen können Menschen nicht friedlich
miteinander leben. Ohne Vertrauen werden wir unsere Probleme nicht
lösen. Erst Vertrauen schafft das Klima für
wirtschaftlichen Erfolg, für wissenschaftlichen und sozialen Fortschritt, für
technische Innovation. III. Tatsächlich aber ist Verunsicherung so etwas wie ein
allgegenwärtiges Gefühl geworden, das unsere gesamte Gesellschaft erfasst.
Das ist lebensgefährlich. Natürlich gibt es auch ein falsches
Sicherheitsgefühl, das Neugier, Wagemut und Unternehmensgeist bremst. Wenn
neue Entwicklungen verschlafen oder verhindert wurden, kritisieren wir das zu
Recht. Wir müssen aber träge Bequemlichkeit genau
unterscheiden von der notwendigen Grundsicherheit, die jeder Mensch braucht,
damit Sorgen und Angst ihn nicht lähmen. Auch Verunsicherung erzeugt Lähmung.
Menschen ohne Grundvertrauen sind nicht besonders leistungsfähig, weder
besonders leistungsbereit noch besonders risikofreudig. Es ist ein Irrtum zu glauben, dass man Menschen zu
besserer oder zu mehr Leistung motivieren kann, wenn sie ständig Angst haben
müssen, ihren Arbeitsplatz zu verlieren oder im Alter in Not zu geraten.
Jeder Mensch braucht eine gewisse Grundsicherheit, damit er den Kopf frei
hat, auch für Anstrengung und Erfolg im Beruf. Wenn wir unsere Gegenwart realistisch beschreiben
wollen, müssen wir auch fragen, ob tatsächlich so vieles schwierig und
unsicher ist, ob tatsächlich so vieles schlecht und erneuerungsbedürftig ist,
so vieles abgebaut und umgebaut werden muss - oder ob vieles einfach schlecht
geredet wird. Haben wir uns vielleicht selber inzwischen so
schlecht geredet, dass wir uns nichts mehr zutrauen? Nähern wir uns
gelegentlich nicht einer Art kollektiver Depression? Ich wüsste kein Land, in dem so viele Verantwortliche
und Funktionsträger mit so großer Lust so schlecht, so negativ über das
eigene Land sprechen, wie das bei uns in Deutschland geschieht. Das bleibt nicht ohne Folgen. Wir haben inzwischen
ein so dunkles Bild von uns selber gewonnen, wie wir es in früheren Jahren
nie gehabt haben. Natürlich gibt es haarsträubendes Versagen und
objektive Missstände. Die peinlichen Pannen um die LKW-Maut sind allen im
Gedächtnis. Oder das unendliche Gezerre um die Einführung des Dosenpfands,
das der Gesetzgeber schon vor dreizehn Jahren beschlossen hat; alle hatten
doch Zeit genug, sich darauf einzustellen. Oder das neue Preissystem, das die
Bahn - trotz vieler Warnungen - mit großem Aufwand eingeführt hat, und das
sich schon bald darauf als reichlich kundenfern herausstellte. Solche und ähnliche Missstände sind tatsächlich
ärgerlich. Was mich allerdings noch mehr stört: Sie gelten nicht mehr als
behebbare Einzelfälle von Inkompetenz, sondern sie werden inzwischen als
etwas für uns Typisches wahrgenommen. Statt mit Tatkraft und einem Schuss
Pragmatismus zu sagen: Das können wir besser und das machen wir jetzt besser,
bricht, auch publizistisch, eine endlose Klage- und Selbstanklagewelle über
uns herein. Wir fangen schon an, hämisch und schulterzuckend
über uns selber zu sprechen. Gelegentlich kann man den Eindruck gewinnen:
Unser Land, seine Zukunft, das alles bedeutet vielen nichts mehr. Und wir wissen ja: Wenn es einmal einen bestimmten
Trend gibt, dann wird alles in diesen Trend eingeordnet und all das, was
dagegen spricht, nicht mehr wahrgenommen. IV. Der Vertrauensverlust in unserem Land hat aber auch
ganz handfeste Gründe. Es sind ganz konkrete Handlungen und Einstellungen,
Worte und Taten, die immer mehr Menschen tiefes Misstrauen einflößen. Wir müssen zum Beispiel erleben, dass einige, die in
wirtschaftlicher oder öffentlicher Verantwortung stehen, ungeniert in die
eigene Tasche wirtschaften. Das Gefühl für das, was richtig und angemessen
ist, scheint oft verlorengegangen zu sein. Egoismus, Gier und
Anspruchsmentalität in Teilen der sogenannten Eliten schwächen auch das
Vertrauen in die Institutionen selber, wenn deren Repräsentanten offenbar
alle Maßstäbe verloren haben. Wir müssen in den Debatten über Veränderungen und
Reform auch erleben, dass allzu oft das Gemeinwohl vorgeschoben wird, wo es
um nichts als Gruppenegoismus, um Verbandsinteressen oder gar um
erpresserische Lobbyarbeit geht. Häufig glauben die Bürgerinnen und Bürger einfach
nicht mehr, was sie hören und sehen. Sie machen zu oft die Erfahrung, dass
man vielem, was in aller Öffentlichkeit gesagt wird, nicht trauen kann. Es
ist auch kein Ausweis des Vertrauens, wenn über manche, die in der
Öffentlichkeit stehen, gesagt wird: "Denen ist alles zuzutrauen." Gewiss: Jeder kann sich gelegentlich irren. Was man heute aus Überzeugung vertritt,
kann durch neue Umstände überholt werden. Das ist so, und das sollte man dann
auch öffentlich sagen. Aber die bewusste Manipulation der Wahrheit oder der
Tatsachen zerstört Vertrauen - manchmal endgültig. V. Vertrauen in die Politik
wird auch zerstört, wenn der Eindruck entsteht, in nahezu jeder Frage gehe es
in erster Linie darum, wer sich gegen wen durchsetzt, wer wem am meisten
schadet, wer zurückgesetzt wird oder sich wieder ein Stück weiter nach vorne
gekämpft hat. Dadurch werden nicht nur wichtige Sachfragen als
Nebensache behandelt, so dass am Ende oft das Falsche oder Dilettantisches
herauskommt. Dadurch entsteht auch der fatale Eindruck, in der Politik komme es letztlich nur darauf an,
wer die Macht hat und nicht so sehr darauf, was er mit ihr macht. Dann wären
wir bei Lenin angekommen, für den sich alle Politik
auf die Frage reduzierte: Wer wen? Die Entwicklung bei den Gesprächen über ein
Integrations- und Zuwanderungsgesetz ist ein besonders schlimmes Beispiel für
diese Art von Politik. Natürlich geht es in der Politik um Macht und auch um Machtkampf
und Machtanteile. Politik muss aber in
erster Linie ein Streit um Ziele und um die besten Lösungen sein. Politik muss sich an Wertvorstellungen
und an Grundsätzen orientieren, die man erkennen kann. Sonst trauen immer mehr Menschen am Ende den Politikern alles zu, nur nicht, dass sie
sich wirklich für die Bürgerinnen und Bürger einsetzen, die sie gewählt
haben. Besonders vertrauenszerstörend ist die offenbar
anhaltende Wirkungslosigkeit all dessen, was die Arbeitslosigkeit beseitigen
soll - und die gegenseitige Schuldzuweisung aller Beteiligten. Wir wissen
alle: Die Arbeitslosigkeit ist die größte Wunde der Gesellschaft. Wieviel
Hoffnungen, wieviel Lebensmut werden hier zerstört! Wieviel guter Wille,
wieviel Leistungsbereitschaft bleiben hier ungenutzt! Wie groß und wie
weitverbreitet ist das Gefühl, nicht gebraucht zu werden, ja wertlos zu sein!
Keine Aussicht auf Arbeit und Beschäftigung zu haben: Das kann jedes
Vertrauen in die Zukunft zerstören - in die eigene und in die der
Gesellschaft. Niemand hat ein Konzept mit Erfolgsgarantie. Ich
auch nicht. Ich weiß aber, dass die Vertrauenskrise in unserer Gesellschaft,
das ständige Schlechtreden von allem und jedem viele Unternehmer davon abhält
zu investieren, und viele Bürgerinnen und Bürger davon abhält zu kaufen.
Wirtschaft und Wirtschaftspolitik
bestehen bekanntlich zu fünfzig Prozent aus Psychologie. Unsere Wirtschaft
wird nur in einem Klima des Vertrauens neuen Schwung bekommen. VI. Eine wichtige Grundlage für Entscheidungen, die
heute getroffen werden müssen, sind Prognosen und Voraussagen. Auch hier wachsen Zweifel: Welche Prognosen sind
seriös? Werden Voraussagen, die für die meisten Menschen handfeste Folgen
haben, wirklich immer nach bestem Wissen und Gewissen gemacht? Sind sie nicht
oft interessengeleitet? Wird nicht manches besonders hoch und anderes
herunter gerechnet? Werden nicht bestimmte Wertungen zu Grunde gelegt, aber
nicht offengelegt? Wir hätten schon viel gewonnen, wenn Prognosen und
Voraussagen regelmäßig, nach einem Jahr, nach zwei oder fünf Jahren darauf
überprüft werden, was sie wirklich wert waren. Schon das könnte eine heilsame
Wirkung haben. Dann könnte man sogar aus Fehlprognosen lernen. Leichtfertige Prognosen, die irgendeinen Niedergang
vorhersagen, wenn nicht sofort dies oder jenes geschieht, zerstören Vertrauen
genauso wie Versprechen, von denen man wissen kann, dass sie nicht
einzuhalten sind. Das geschieht trotz besseren Wissens immer wieder,
und darum haben viele Menschen sich mittlerweile darauf eingestellt,
vorsichtshalber erst einmal gar nichts mehr zu glauben. Diese Haltung führt über Politikverdrossenheit hinaus zur völligen
Abkehr vom politischen Leben. Kein demokratischer Staat hält es auf Dauer
aus, wenn sich immer stärker eine Haltung des "Wir da unten, die da
oben" durchsetzt. Gewohnheitsmäßiges Misstrauen in die Politik untergräbt die Fundamente der
Demokratie und ist ein riesengroßes Einfallstor für Populisten und
schreckliche Vereinfacher aller Art. Die haben auf alles eine Antwort und für
nichts eine Lösung. VII. Misstrauen wächst auch dann, wenn wichtige
politische Entscheidungen in immer kleineren Kreisen getroffen werden. Nun
weiß jeder, dass es manchmal wirklich nötig ist, sich hinter verschlossenen
Türen zu beraten, um zu einem Konsens oder zu einem Kompromiss zu kommen, den
alle mittragen können. Solche Vereinbarungen schaffen nur dann Vertrauen,
wenn die Verständigung echt ist, wenn kein fauler Kompromiss kaschiert wird
und wenn alle sich an das halten, was sie gemeinsam verabredet haben. Wenn
die Verfallszeit von Verabredungen aber kürzer ist als die eines Bechers
Joghurt, dann schürt das den Eindruck, dass die politisch Verantwortlichen
sich letztlich nicht verständigen wollen oder können. Besonders schädlich ist es, wenn sich immer mehr das
Gefühl breit macht: "Die da oben können es nicht - und zwar auf allen
Ebenen und auf allen Seiten." Ein Umfrageergebnis ist in der
Nachkriegsgeschichte übrigens absolut neu: Noch nie hatten so wenig Menschen
in Deutschland Vertrauen in die Politik
einer Regierung - und noch nie haben gleichzeitig so wenige geglaubt, die
Opposition könne es besser. Das ist der Ausdruck einer tiefgreifenden
Vertrauenskrise. Von Ausnahmen abgesehen, geht die Beteiligung bei Wahlen
bedenklich zurück. Auch langjährige Mitglieder wenden sich von den Parteien
ab. In manchen Gegenden fehlen schon Kandidaten für die Wahlen in den Städten
und Gemeinden. Darin drückt sich für mich das gefährlichste und
verhängnisvollste Misstrauen aus: Das fehlende Vertrauen in die eigenen
Möglichkeiten, etwas verändern und etwas gestalten zu können. Das trifft
nicht nur die eine oder die andere Partei, das richtet sich gegen unser
Gemeinwesen als ganzes. Hier droht eine innere Auswanderung aus unserer
Demokratie, die wir nicht tatenlos hinnehmen dürfen. Noch erleben wir keine wirklich bedrohlichen
Äußerungen von Enttäuschung und Wut. Wir müssen aber einen stillen Abschied
und privaten Zynismus beobachten, resigniertes Schulterzucken von Menschen,
die von der Politik
nichts mehr erwarten. Das geht oft einher mit fehlendem Vertrauen in die
eigene Zukunft. VIII. Es ist höchste Zeit, etwas dafür zu tun, dass wir
die Vertrauenskrise überwinden, in die unsere Gesellschaft geraten ist. Wir
müssen die Grundlagen des Vertrauens wiedergewinnen. Schönreden hilft da
nicht. Wir werden uns anstrengen müssen. Die Politik
muss die Initiative wiedergewinnen gegenüber wirtschaftlichen und anderen
Einzelinteressen. Die politische Gestaltung muss zurück in die Parlamente.
Die Abgeordneten müssen mit ihrer Stimme die Richtung bestimmen und nicht
bloß Beschlüsse von Kommissionen und Konsensrunden verabschieden. Dazu brauchen wir zunächst einmal eine verständliche
politische Sprache. Oft hören wir ja ein seltsames Gemisch aus Abkürzungen
und Neubildungen, aus halb verdeutschtem Englisch oder aus absichtlicher
Schwammigkeit, aus Verharmlosung und Fachchinesisch. Was man nicht verstehen kann - und vielleicht auch
nicht verstehen soll - das schafft kein Vertrauen. Manchmal glauben die
Menschen auch, die Redner wüssten selber nicht so genau, worüber sie
sprechen, so abstrakt und lebensfern hört sich vieles an. Eine verständliche und klare Sprache ist aber
notwendig, auch im öffentlichen Streit mit Wort und Widerwort. Und nichts stärkt das Vertrauen der Menschen mehr
als die Übereinstimmung von Wort und Tat. Das ist der einfachste Weg, um
Glaubwürdigkeit zu gewinnen - und der ist schwer genug: Sagen, was man tut,
und tun, was man sagt. Wahrhaftigkeit, Glaubwürdigkeit, aber auch
Pflichtbewusstsein und Anstand sind Tugenden, auf die wir nicht verzichten
können. Wir müssen darauf vertrauen können, dass jede und jeder, da, wo sie
Verantwortung tragen, ihre Pflicht tun, dass sie wahrhaftig sind und sich
anständig verhalten. ·
Wir müssen darauf vertrauen können,
dass Handwerker ordentlich arbeiten und korrekt abrechnen. Und die müssen
darauf vertrauen können, dass ihre Rechnungen pünktlich bezahlt werden. ·
Wir müssen uns darauf verlassen können,
dass Manager in erster Linie an das Unternehmen, seine Anteilseigner und
Beschäftigten, denken und nicht an ihre eigenen Abfindungen oder
Aktienoptionen. ·
Wir müssen uns darauf verlassen können,
dass wir richtig beraten werden, bei der Bank, beim Einkaufen, beim Abschluss
von Verträgen. ·
Wir müssen uns darauf verlassen können,
dass nicht nur bei Lebensmitteln der Grundsatz gilt: "Es ist drin, was
drauf steht." ·
Wir müssen uns darauf verlassen können,
dass die öffentliche Verwaltung frei von Durchstechereien und unbestechlich
arbeitet, wie das dem stolzen Ideal des deutschen Beamtentums entspricht. ·
Wir müssen uns darauf verlassen können,
dass Ärzte uns richtig behandeln - und dass sie korrekt abrechnen. Das sind Forderungen an jeden Einzelnen von uns, da,
wo er Verantwortung trägt. Wie aber kann der Einzelne motiviert werden,
selber anständig zu handeln und vertrauenswürdig zu sein, wenn er den
Eindruck hat, das große Ganze stimme nicht und der Ehrliche sei wirklich oft
genug der Dumme? Das kann nur gelingen, wenn in der Politik deutlich wird, dass es noch
Zukunftsentwürfe gibt, Ziele - und den nötigen Gestaltungswillen. Politik muss mehr sein als ein
Reparaturbetrieb gesellschaftlicher Verwerfungen. Politik
muss gestalten und darf nicht der Wirklichkeit hinterherhinken. Politik muss mehr sein als die möglichst
geschickte Form, das zu kommentieren, was ohnehin geschieht. Wir müssen den Primat der Politik
wieder gewinnen - einer Politik,
die sich an Werten orientiert und die sich nicht darauf beschränkt,
tatsächliche oder vermeintliche Sachzwänge zu exekutieren. Politik muss wieder zeigen, dass es sie gibt und dass
sie etwas für die Menschen bewirken kann. Neues Vertrauen in staatliches Handeln wird aber nur
wachsen, wenn in Politik
und Verwaltung solide gearbeitet wird. Dazu gehört die ernsthafte
Auseinandersetzung mit allen Sachfragen, bis ins kleinste Detail. Dazu gehört
die Einsicht, dass politische Entscheidungen ihre Zeit brauchen, wenn sie
vernünftig sein sollen. Ein westfälischer Mathematiklehrer hat einmal ganz
schlicht gesagt: "Richtigkeit geht vor Fixigkeit". Politik muss Probleme lösen. Diese Forderung richtet
sich an die politisch Verantwortlichen auf allen Ebenen, denn Bund, Länder
und Gemeinden sind vielfältig aufeinander angewiesen. Keine politische Partei
kann heute nur auf andere zeigen, wenn es darum geht, Veränderungen
durchzusetzen. Ich sage das ausdrücklich an die Adresse aller
politisch Handelnden in Regierung und Opposition. Es ist ein Ausdruck von
Verantwortungslosigkeit, wenn eine Regierung Vorschläge nur deswegen ablehnt,
weil sie von der Opposition kommen, obwohl sie sie insgeheim für vernünftig
hält. Und es ist genauso Ausdruck von Verantwortungslosigkeit, wenn eine
Opposition vernünftige Vorhaben nur deshalb scheitern lässt, weil sie von der
Regierung kommen, obwohl sie sie
selber genauso durchsetzen würde, wenn sie an der Macht wäre. Wer das von fast allen als richtig Erkannte allein
aus wahltaktischen Motiven blockiert, mag zwar hoffen, kurzfristig Zustimmung
zu gewinnen. Langfristig wird aber unser ganzes Land verlieren. IX. Eines müssen wir wieder entdecken: Wir können
politisch gestalten, wir können Weichen stellen. Wir können sagen, wohin die
Reise gehen soll. Dazu braucht es den politischen Willen, den Willen zur Politik. Große Spiele, sagt man im
Fußball, werden im Kopf entschieden. Da ist viel dran. Was sich ändern muss,
das ist die Haltung, die viele resignieren oder Abschied nehmen lässt von Politik und Staat. Diese Haltung führt
letztlich dazu, dass unsere Gesellschaft auseinander fällt und dass jeder
versucht, irgendwie für sich allein durchzukommen. Das aber wird nicht gut
gehen. Wir müssen wieder begreifen: Der Staat, die
Gesellschaft, das Land, das sind wir, das ist jeder einzelne. Das ist unsere
gemeinsame Sache und diese gemeinsame Sache können wir selber gestalten. Wir
hören oft, man müsse die Menschen "mitnehmen", zum Beispiel auf den
Weg der Reformen. Das ist gewiss richtig. Orientierung und Führung sind notwendig. Genauso notwendig ist es aber, auf die Menschen zu
hören. Deshalb müssen wir uns neue Gedanken darüber machen, wie sich die
Menschen besser und stärker an den Entscheidungen beteiligen können. Wir
brauchen neue Ideen und Möglichkeiten für Mitgestaltung und Partizipation in
unserer Gesellschaft. Wir müssen politische Willensbildung unter den heutigen
Bedingungen besser organisieren. Unser demokratischer Staat ist mehr als ein
Dienstleistungsbetrieb und auch mehr als eine Agentur zur Stärkung des Wirtschaftsstandorts.
Der Staat schützt und stärkt die Freiheit der Bürgerinnen und Bürger auch vor
den gesellschaftlichen und ökonomischen Kräften, die die Freiheit des
Einzelnen längst viel stärker bedrohen als jede Obrigkeit. Dazu legt er auch
Regeln und Pflichten zu Gunsten der Gemeinschaft fest. Damit schafft der
Staat Freiräume gegen puren Ökonomismus und gegen das alles beherrschende
Dogma von Effizienz und Gewinnmaximierung. Es gibt eine gefährliche Wechselwirkung von Staats-
und Politikverdrossenheit
auf der einen Seite und den allzu pauschalen Forderungen nach Privatisierung,
Deregulierung und Rücknahme staatlicher Verantwortung auf der anderen Seite. Die solidarische Absicherung gegen die großen
Lebensrisiken, die sozialen Ausgleich in unserer Gesellschaft schafft und
damit soziale Stabilität, wird immer häufiger verächtlich gemacht. Sozialer
Ausgleich und soziale Gerechtigkeit, so heißt es, bedrohten die Freiheit des
Einzelnen. In Wirklichkeit ist es doch immer noch so, dass die Freiheit der
meisten Menschen, dass ihre Chancen, ihr Leben nach ihren eigenen
Vorstellungen zu gestalten, ganz wesentlich von der gesellschaftlich
organisierten Solidarität abhängt. Gewiss: Eigene Verantwortung und eigene Anstrengung
sind notwendig und unverzichtbar. Mehr Eigenverantwortung darf aber nicht
heißen, dass die Starken sich nur noch um sich selber kümmern und die anderen
sehen sollen, wo sie bleiben. Solidarität der Schwachen mit den Schwachen - das
genügt nicht. Arbeitende für Arbeitslose, Junge für Alte, Gesunde für Kranke,
Nichtbehinderte für Behinderte: Darauf bleibt jede Gesellschaft angewiesen. X. Wer politisch vertrauenswürdig sein will, der darf
nicht über jedes Stöckchen springen, das Interessenvertreter oder Medien ihm
hinhalten. Da wird ein Fall von angeblichem Sozialmissbrauch im Ausland
medial groß aufgemacht - der bei Licht besehen gar kein Skandal ist - und
schon werden Gesetze geändert. Ähnliches ließe sich im Zusammenhang mit der
Gesundheitsreform sagen, ähnliches von der Steuerreform. Wenn eine angeblich benachteiligte Gruppe nur laut
genug schreit oder der blanke Populismus publizistisch Verstärkung erfährt,
sind die Vorhaben von gestern heute schon nichts mehr wert. Das zeugt nicht
von Souveränität. Es schafft vielleicht kurzfristig Applaus, aber nicht
langfristig Vertrauen. Vertrauen gewinnt politisches Handeln durch
Souveränität und Solidität. Kurzfristiger Aktionismus schafft eher
Misstrauen, weil man dann nur darauf wartet, welches Thema wohl morgen
hochgespielt wird. Vertrauen entsteht nur da, wo man einen klaren Kurs
erkennen kann. Vertrauen setzt voraus, dass es klare
Verantwortlichkeiten gibt und dass sie klar erkennbar sind. Jeder
Interessierte sollte wissen können, wer für welche Entscheidungen
verantwortlich ist. Das ist aber heute kaum mehr möglich. Die politisch Verantwortlichen vom Bund bis zu den
Gemeinden sind heute zu oft in einer Verflechtungsfalle gefangen. Diese
Blockade muss aufgelöst werden. Die institutionalisierte
Verantwortungslosigkeit muss aufhören. Genau das muss die
Föderalismuskommission zustande bringen. Zur Ehrlichkeit gehört es darum auch zu sagen, dass
vieles aus guten Gründen längst nicht mehr in Deutschland entschieden wird,
sondern auf europäischer Ebene. Übrigens: Vertrauen und Glaubwürdigkeit der Politik werden auch dann beschädigt, wenn
Politiker etwas als
Ausgeburt der Brüsseler Bürokratie an den Pranger stellen, was sie selber in
Bund oder Ländern beschlossen und der Europäischen Union vorgeschlagen haben. XI. Die Medien spielen in der demokratischen
Gesellschaft eine besonders wichtige Rolle als Kontrollinstanz. Sie tragen
besondere Verantwortung. Unabhängige Medien, die sogenannte vierte Macht im
Staat, können und müssen dazu beitragen, dass politische und
gesellschaftliche Zusammenhänge durchschaubar werden. Sie können und sollen
Missstände und Skandale aufdecken, komplizierte Zusammenhänge erläutern,
Hintergründe darstellen und Interessenkonflikte offen legen. Das ist in unser
aller Interesse. Wir müssen aber darauf vertrauen können, dass das
Bild, das sie uns von der Welt zeigen, einigermaßen mit der Wirklichkeit
übereinstimmt. Auch hier haben viele Menschen inzwischen viel
Vertrauen verloren. Sie haben gelernt, dass man nicht nur mit Schlagzeilen,
sondern auch mit Bildern lügen kann, dass halbe Wahrheiten oft schlimmer sind
als ganze Lügen, dass nicht alle Themen, die groß aufgemacht werden, wirklich
wichtig sind. Die Medien haben Macht. Oft ist der Grat schmal
zwischen scharfer Kritik, die berechtigt ist, und der publizistischen Jagd
auf einen Menschen, für die es keine Rechtfertigung geben kann. Vieles in unserer Gesellschaft, vieles in Politik und Wirtschaft gibt wahrlich
Anlass zu Kritik. Die kritische Auseinandersetzung mit Fehlern und Mängeln
kann das Vertrauen stärken. Es gibt aber auch in den Medien eine fatale Lust
an Schwarzmalerei und klischeehafter Übertreibung. Diese Lust fördert die
Entfremdung der Bürger von Politik
und Staat. Der ökonomische Erfolg allein, der Blick auf Quote
und Auflage darf die Grundregeln journalistischer Arbeit nicht außer Kraft
setzen. Intendanten und Verleger, Chefredakteure und Journalisten - sie alle
tragen Mitverantwortung für das Gemeinwesen, das auch durch Häme und Zynismus
in Gefahr geraten kann. XII. Wir müssen die Vertrauenskrise überwinden. Wir
müssen vor allem wieder Vertrauen in uns selber gewinnen. Wir müssen uns immer wieder selber klar machen und
mehr darüber sprechen, dass es für uns Deutsche gute Gründe gibt, mit
Zuversicht und Vertrauen in die Zukunft zu schauen. Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen können nicht
wachsen ohne das Bewusstsein davon, wer wir sind und woher wir kommen. In den letzten Jahren haben sich viele
Mitbürgerinnen und Mitbürger neu für unsere Geschichte interessiert. Ich
verstehe das als Teil einer Suche nach Identität und Selbstvertrauen. Dabei gilt für unser Land das gleiche wie für jeden
einzelnen Menschen. Jeder Mensch braucht ein positives Bild von sich
selber und strebt danach es zu haben. Gewiss: Jeder Mensch hat in seinem
Leben Gutes und Schlechtes erlebt. Aber er kann nicht auf Dauer mit sich
selber im Reinen sein, wenn er allein das Schlechte über sein Selbstbild
bestimmen lässt. Auch eine Nation braucht insgesamt ein positives
Selbstverständnis und ein positives Verhältnis zu sich selber. Nur so kann
sich ein Wir-Gefühl entwickeln, das die Grundlage jeder Nation ist. Neben den
Erinnerungen an Niederlagen und an Versagen müssen auch Erinnerungen an
Erfolge und Glück stehen. Und ein Blick in unsere Geschichte zeigt nicht nur
die furchtbaren Verirrungen und Katastrophen, er zeigt auch, dass politischer
Wille und gesellschaftliche Kraft Veränderungen zum Guten bewirken können.
Solches Vertrauen in die eigene Kraft brauchen wir. Vor wie vielen Problemen und Herausforderungen
standen wir vor zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren! Wir hatten es mit
Schwierigkeiten zu tun, die vielfach als unlösbar galten - und die dennoch
gemeistert wurden. Im Rückblick wissen wir auch, dass es eine Reihe von
Entwicklungen gegeben hat, die niemand voraussehen konnte, Entwicklungen, die
uns viel Gutes gebracht haben. Der Fall der Mauer und die europäische Einigung sind
die beiden herausragenden Beispiele dafür. Nie war das Leben der großen Mehrheit in Deutschland
freier und individueller als heute. Gewiss: Es gibt auch die Gefahr der
Vereinzelung, der Auflösung sozialer Bindungen. Aber alles in allem hatten
noch nie so viele Menschen so viele Lebenschancen wie heute. Unsere deutsche Gesellschaft ist weltoffen und -
auch im Vergleich zu anderen Ländern - tolerant gegenüber Minderheiten. Das
merken Besucher, die zu uns nach Deutschland kommen, oft stärker als wir
selber. Auf meinen Reisen habe ich immer wieder erfahren,
wie groß in allen Teilen der Welt das Vertrauen in uns Deutsche ist. Das sind positive Entwicklungen, die man nicht
voraussehen konnte. Auch manche Ängste und Befürchtungen sind nicht wahr
geworden. Da war vor allem die Angst vor einer atomaren
Schlacht zwischen den Supermächten, ausgetragen in Europa, auch auf deutschem
Boden, und da war die Angst vor einer ökologischen Katastrophe, die über
viele Jahre auch in anderen Ländern mit dem deutschen Wort
"Waldsterben" verbunden war. Beides ist nicht wahr geworden. Nicht, weil ein
Wunder geschehen wäre, sondern weil Menschen Einsicht und
Veränderungsfähigkeit bewiesen haben und weil sie mit Engagement für ihre
Ziele gearbeitet haben. Wahrscheinlich gibt es kein zweites großes Land auf
unserer Erde, in dem die Menschen umweltbewusster leben als in Deutschland.
Wer hätte geglaubt, dass Deutschland tatsächlich den Umstieg auf eine
Energieversorgung ohne Atomkraft beschließt! Selbst wer diese Entscheidung
für falsch hält, muss anerkennen, dass auch das ein Beispiel dafür ist, dass
viele Einzelne, die sich zusammen tun, politisch tatsächlich etwas bewegen
können. Wir sollten uns gelegentlich auch an die gewaltigen
Veränderungen der Wirtschaftsstruktur in Deutschland erinnern. Seit über
vierzig Jahren schon erleben wir an vielen Orten und in vielen Regionen einen
atemberaubenden Strukturwandel. Wir leben ja nicht erst seit gestern in einer
Zeit des permanenten Wandels und Aufbruchs. Da ist nicht nur vieles
weggebrochen. Da ist auch durch Ideenreichtum und Tatkraft vieles geschaffen
worden - im Westen und im Osten. Das kann Hoffnung machen, dass es uns auch in
Zukunft gelingen wird, schwere Probleme zu lösen - auch solche, von denen wir
heute noch nicht wissen, auf welche Weise wir das am besten schaffen können. XIII. Auch heute ist unsere Gesellschaft nicht starr. Sie
ist in Bewegung. Wir haben wagemutige Unternehmer, international
renommierte Forscher und Wissenschaftler, kreative Ingenieure und
hervorragend qualifizierte Arbeitnehmer. Sie schauen nach vorn und bringen
unser Land voran. Es gibt viele gesellschaftliche Initiativen. Ehrenamtliches
Engagement und Netze, die für sozialen Halt sorgen, die Neues ausprobieren im
kleinen und werben für Veränderung im großen. Was an einem Ort gelingt, kann
durch die neuen Kommunikationsmittel schnell Schule machen und oft weltweit
Bedeutung bekommen. Ich sehe, dass immer mehr Menschen, auch unter den
jüngeren, den Wert der Familie und den Wert von beständigen, verlässlichen
Bindungen wieder erkennen. Ich sehe, dass Kinder mehr Zeit und Aufmerksamkeit
geschenkt bekommen - das gibt ihnen unschätzbaren Halt und ein
Grundvertrauen, das durch nichts zu ersetzen ist. Gegen alle pessimistischen Töne dürfen wir auch
nicht übersehen, wie viele traditionelle oder neue Organisationen und soziale
Zusammenhänge funktionieren und wie viel Engagement und Solidarität in
Nachbarschaftshilfe, in Selbsthilfegruppen und in vielfältigen Formen
ehrenamtlicher Arbeit lebendig sind. Junge Menschen haben einen hoch entwickelten Sinn
für Fairness und Respekt. Sie engagieren sich für andere, sie tun ganz
praktisch etwas gegen Hunger und Armut in der Welt und für den Schutz unserer
natürlichen Lebensgrundlagen. Ihr Engagement ist oft auf ein Projekt bezogen
und nicht auf Dauer angelegt. Alle Organisationen und Institutionen sollten
solche Angebote machen und zugleich Verständnis dafür wecken, dass eine
lebendige Demokratie ohne dauerhaftes, ohne verlässliches Engagement
möglichst vieler nicht existieren kann. Mir macht auch Hoffnung, dass viele junge Menschen
sich in der Welt umsehen - nicht nur als Touristen. Im Ausland arbeiten,
studieren, für andere da sein - das stärkt nicht nur die eigene
Persönlichkeit, das formt oft auch einen neuen Blick auf das eigene Land.
Junge Menschen berichten dann oft, dass sie unser Land mit einem gewissen
Abstand gelassener sehen und günstiger beurteilen. Es gibt viele Gründe darauf zu vertrauen, dass wir
in Deutschland erfolgreich eine gute Zukunft für alle gestalten können. Diese
Gründe für Vertrauen und Zuversicht gibt es, ohne dass irgend etwas
schöngeredet werden müsste. Wir haben Gründe zu vertrauen, wenn jeder von uns
und wenn wir alle gemeinsam Verantwortung übernehmen - Verantwortung für uns,
Verantwortung für andere, Verantwortung für unser Land. Es kommt auf jeden Einzelnen an, aber wer mehr
Möglichkeiten, wer mehr Einfluss hat, der trägt auch eine größere
Verantwortung. 82 Millionen Menschen leben in unserem Land, das
sind 82 Millionen verschiedene Erfahrungen, Begabungen, Stärken und Talente.
Vieles davon fließt in unsere Unternehmen, in die Schulen und Hochschulen, in
Kunst und Kultur. Dies Potenzial wird für unser Gemeinwesen noch viel zu
wenig erschlossen. Viel zu häufig dient die Kritik an konkreten
Missständen als Ausrede dafür, sich
nicht selber einzumischen. Politik
sei ein schmutziges Geschäft, ist nicht nur an Stammtischen und in
Vorstandscasinos zu hören. Aber da entstehen keine Gesetze. Und vom Zuschauen
wird keine Schule gebaut, kein Kindergarten renoviert, keine Landschaft
geschützt, keine Sozialstation unterhalten. Ja, wer etwas zu kritisieren hat an unserem Land,
der soll das tun. Wer aber etwas verändern will in unserem Land, der muss
etwas tun. Er muss sich einmischen, muss mitarbeiten, muss Verantwortung
übernehmen für unser Land. Eltern übernehmen selbstverständlich Verantwortung
für ihre Kinder, sie mischen sich ein, sie sorgen und sie helfen, damit ihre
Kinder eine sichere Zukunft haben. Das gilt auch im übertragenen Sinne: Dieser Staat, diese Bundesrepublik ist das Kind
unserer Eltern und Großeltern und wir alle haben von dem profitiert, was sie
aufgebaut haben. Heute ist es an den nächsten Generationen mitzuhelfen, dass
unsere Zukunft sicher bleibt. Das kann man auf vielen Ebenen und auf vielen
Feldern tun: Als Mitglied einer Partei, einer Kirche oder Gewerkschaft, im
Sportverein, in der Bürgerinitiative, bei Hilfswerken, in sozialen
Einrichtungen oder Verbänden oder wo immer Menschen sich zusammenfinden und
Verantwortung für sich und für andere übernehmen. Es gibt viele Möglichkeiten, etwas für andere zu tun
- sie alle sind besser, als nur über andere zu reden oder darüber zu klagen,
wie schlimm die Verhältnisse sind. XIV. Es gibt genug Gründe für Vertrauen in Deutschland.
Es gibt noch mehr Gründe, Verantwortung zu übernehmen und sich einzumischen. Es gibt genug Gründe, darauf zu vertrauen, dass wir
in Deutschland die Zukunft meistern werden. Es gibt noch mehr Gründe, sich
einzusetzen für unser Vaterland, in dem wir gerne leben. Es liegt an jedem von uns, dieses Land, unser Land jeden Tag ein Stück besser und menschenfreundlicher zu machen. |