D a s   L i b e r a l e   T a g e b u c h

Sammlung Originaldokumente aus „Das Liberale Tagebuch“, http://www.dr-trier.de

 

 

 

Deutschlandfunk Interview, Montag bis Sonntag, 29.12.2004

 

Geltende Regelungen zu Nebeneinkünften von Abgeordneten ausreichend

 

Das Liberale Tagebuch: Nein, nicht ausreichend

 

Interview mit Ludwig Stiegler,

stellvertretender SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag

Moderation: Elke Durak

 

Durak: Geht es da mit rechten Dingen zu, rechtlich, aber auch moralisch, in dem einen Fall - wir haben es gehört - Bürgermeister, Landtagsabgeordneter und zugleich VW-Gehaltsempfänger zu sein? Das frage ich also Ludwig Stiegler, SPD-Fraktionsvize im Bundestag und tätiger Rechtsanwalt, ein Parlamentarier also mit dieser veröffentlichungspflichtigen Aufgabe, so ist das im Bundestagshandbuch nachzulesen. Herr Stiegler, wie sehen Sie das, geht das mit rechten Dingen zu?

 

Stiegler: Also es ist sicher einer der Grenzfälle. Allerdings handelt es sich um praktisch frühere Mitarbeiter von VW. Aber wenn jemand für einen Großkonzern, ob RWE oder VW, praktisch arbeitet und das dann auch nicht hinreichend angibt, dann ist das sicher ein Punkt, wo man sich aufregen kann und muss.

 

Durak: Vor allem, wenn dafür nichts oder komische Dinge getan werden, also wie der Bürgermeister Viereck gestern schon wissen ließ, er hat einen Telearbeitsplatz zu Hause - sehr komische Formulierung - und kümmert sich um sportliche Angelegenheiten. Das kann man doch nicht mehr vermitteln.

 

Stiegler: Das müssen die vor Ort aufklären, was da gemacht worden ist. Normalerweise zahlen Unternehmen ja nicht für eine Nichtleistung, und deswegen ist es eben wichtig, in solchen Fällen genau zu dokumentieren, was denn getan wird, damit eben nicht der Eindruck erweckt wird, es handle sich um Einflusskauf.

 

Durak: Bedarf es, um so etwas zu verhindern, in Bund und Ländern noch eindeutigerer rechtlicher Regelungen?

 

Stiegler: Ich denke, wir haben im Bundestag klare Regelungen, übrigens mit rot-grüner Mehrheit allein beschlossen, in Bezug auf Transparenz. Allein durch diese Transparenz wird jeder unter Rechtfertigungsdruck gesetzt, der hier etwas zusätzlich unternimmt. Wenn das eingehalten wird, müsste es eigentlich reichen. Ich kenne das niedersächsische Recht im Detail nicht. Ich höre nur, dass am Anfang der Periode hier in Niedersachsen unsere Leute versucht haben, das Bundesrecht dort einzuführen, und an der anderen Mehrheit gescheitert sind. Also insofern kann ich die beiden Bereiche nicht vergleichen. Ich denke, das Entscheidende ist Transparenz.

 

„Transparenz“ ist hier ein Ablenkungsmanöver, da Transparenz so wie Stiegler formuliert und wohl denkt grundsätzlich, bzw. prinzipiell nicht machbar ist. Schließlich haben, auch künftig, Parlamentarier „Recht“ auf nicht-öffentliche Privatheit.

 

Abgeordnete haben kein Berufsverbot.

 

Richtig. Bisher ist das so.

 

Nur Mitglieder der Bundesregierung haben ein Berufsverbot, und Abgeordnete tun auch gut daran, dass sie zur Berufswelt Kontakt halten, denn ein Abgeordnetenleben ist kein Berufsleben, sondern die durchschnittliche Verweildauer in den Parlamenten übersteigt zehn Jahre nicht. Ich habe eine alte Statistik in Erinnerung, die von einer durchschnittlichen Verweildauer von sechs Jahren ausgeht, das heißt, wo die Leute herkommen, sollen sie auch ihre Verbindungen haben.

 

Sollen sie gar nicht. Abgeordnete sollen zu allererst ihren Job machen. Dass kurze Verweildauer in den Parlamenten für jene die den verantwortungsvollen Job für uns alle machen, ein Problem sein kann, sieht jeder. Lösung: Bessere Bezahlung – statt Doppelleben.

 

Allerdings ist eben klarzumachen, dass das Mandat nicht dazu dient, dass man seinem Arbeitgeber, insbesondere einem großen Arbeitgeber, der tausend Berührungspunkte mit der Politik hat, nicht quasi als Hausabgeordneter zur Verfügung steht.

 

Nur Abnabeln hilft nachvollziehbar und glaubhaft.

 

Durak: Wie könnte man es verhindern, um mal von Bundestagsebene runterzugehen bis hin zu den Kommunen und den kommunalen Vertretungen, dass ein Doppelangestellter sozusagen, Abgeordneter und Beschäftigter in einem Unternehmen, in Gewissensnot kommt bei Entscheidungen?

 

Stiegler: Durch die Offenbarungspflicht. Wenn in Bayern meinetwegen im Stadtrat jemand mitstimmt, der in irgendeiner Weise mit dem Sachgegenstand zu tun hat, dann muss er das offenbaren und darf nicht mitstimmen. Das wird man bei den Parlamenten schwierig machen können, weil sonst etwas knappe Mehrheitsverhältnisse in Frage kämen und die Stimme eines einzelnen dort auch nicht den Ausschlag hat wie in einer kommunalen Situation, aber ich denke, es muss den Kolleginnen und Kollegen gegenüber voller Transparenz abgelegt werden.

 

Schon wieder „Transparenz“. Geschenkt Transparenz zu fordern. Das ist letztlich die Einladung zur Intransparenz. Im Idealfall liefe dies darauf hinaus, dass die Angestellten-Abgeordneten nachvollziehbare Tätigkeitsberichte vorlegen müssen, während die wirklich interessanten Fälle (etwa frühere Mitglieder in einflussreichen Gremien privater Organisationen) genauso wenig wie bisher zu greifen sind.

 

Im Bundestag weiß man, ob meinetwegen Herr Göhner von der Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände kommt, oder man wusste früher, als Klaus Wiesehügel im Parlament war, dass er Gewerkschaftsvorsitzender Bauen-Agrar-Umwelt war. Also da waren die jeweiligen Vertreterinteressen transparent und klar.

 

Diese beiden Fälle sind so klar, dass die Erwähnung in dem Zusammenhang ein Ablenkungsmanöver ist.

 

Das ist in Ordnung, denn die Parteien, die im Parlament vertreten sind, sind nichts anderes als organisierte Interessenvertretungen,

 

Dies wäre, falls die Abgeordneten sich tatsächlich als Interessenvertreter verstehen, der wirklich kapitale Fehler im System. Stiegler müsste darlegen wie sich die Gewissenfreiheit der Abgeordneten mit Interessenvertretung verträgt, bzw. zusammenpasst. Wie organisiert Stiegler Minderheitenschutz, wenn Abgeordnete Interessen vertreten. Sollen denn die Interessen der einen gegen die Interessen der anderen nach Stimmenzahlen entschieden werden? Das ist vielfach geschehen durch „Interessentausch“. Resultat: Soziale Degenration – „dieser Gesellschaft“. Das Gesamtsystem ist disfunktionalisiert.

 

aber diese Interessen stehen im Wahlprogramm und sind in einem Wahlkampf von der Bevölkerung entweder unterstützt worden oder eben unterlegen. Das ist klar. Man kann nicht so tun, als ob es im Parlament nicht um Interessen ginge, sondern auch die jeweilige Mehrheit hat Interessen.

 

Weitgehend Bla-bla. Denn die Damen und Herren Abgeordneten in den Parlamenten können im Rahmen der Verfassung und der Gesetze schalten und walten, d.h., insofern tun was sie wollen. Auch künftig sollen Abgeordnete nur ihrem Gewissen verpflichtet sein.

 

Das ist ja der Unterschied zwischen Abgeordneten und meinetwegen Beamten, die irgendein Gesetz zu vollziehen haben und unparteiisch sein müssen. Wir sind in unserer politischen Arbeit parteiisch, aber es darf eben eine vom Wähler sanktionierte Parteilichkeit sein und nicht eine gekaufte.

 

Bla-Bla. Ablenkung.

 

Durak: Und muss, um der politischen Hygiene willen, auch bereinigt werden in Fällen, wo es anders läuft?

 

Stiegler: In Fällen, wo es anders läuft, ist das ein Skandal, und jeder Skandal ist nichts anderes als ein Appell an die verletzte Ordnung, wiederhergestellt zu werden.

 

Durak: Gibt es eigentlich Unruhe unter Abgeordnetenkollegen, die Sie treffen oder getroffen haben, gesprochen haben, weil die Debatte um Nebeneinkünfte hält ja seit einiger Zeit wieder mal an?

 

Stiegler: Also im Bundestag stelle ich das nicht fest. Sie sind gestern Abend die erste gewesen, die mich da in meinen Arbeitsferien an Weihnachten damit behelligt hat.

 

Der unbehelligte Zeitgenosse, beim Ballermann mit ausgekuppeltem Hirn, die Idealvorstellung von Ludwig Stiegler (SPD)? Wie dem auch sei. Das Parlament soll seinen Job machen – genug Unerledigtes gibt es. Die weiteren Probleme kann nur der Souverän lösen. Konsultation mit den Betroffenen vor definitiver Verabschiedung gerne.

 

Durak: Ich hoffe aber, dass es auch in Ihrem Interesse lag. Ich gehe mal davon aus, sonst hätten Sie diesem Interview nicht zugestimmt.

 

Stiegler: Ich habe mich nicht beschwert, und ich bin auch brav aufgestanden und stehe Ihnen Rede und Antwort.

 

Durak: Vielen Dank für das Gespräch.