Stand: 9. +10. August 2007, 12:30 (letzte Änderungen kursiv gesetzt)
Die geplante Steuerdatei des Bundeszentralamtes für Steuern
Das Bundeskabinett verabschiedete am 08.08.07 also das Jahressteuergesetz 2008.
Enthalten Ansätze der Beweislast-Entlastung zugunsten des anspruchsberechtigten Fiskus und die Zentraldatei aller Steuerpflichtigen mit allerlei Daten zu den Personen - alles schön verpackt in 200 Änderungen im Rahmen des
(doch kurzfristigen) Jahressteuergesetzes, das allerdings inzwischen jedes Jahr erneut kommt.
Westerwelle erklärte am Mittwoch in Berlin, dass Herr Steinbrück jetzt in der Finanzpolitik das mache, was Wolfgang Schäuble
auch in der Innenpolitik vorführe: "Nach dem gläsernen Bürger, dem gläsernen Patienten und dem gläsernen Bankkunden, kommt jetzt auch noch der gläserne Steuerzahler." Und HO Solms sieht in dem Vorhaben einen
weiteren Schritt, um die Überwachung der Bürger von der Geburt bis zum Tod allumfänglich auszuweiten. "Diese freiheits- und bürgerfeindliche Politik der Bundesregierung muss aufhören ... Es entsteht ein riesiger, in sich
geschlossener Datenfundus, der für die Zwecke der Lohnsteuer allein nicht notwendig ist".
Der Hintergrund
Seit Jahrzehnten wollen etwa die Gewerkschaften dies und das, seit Jahrzehnten die
Unternehmer kompensatorisch ebenfalls dies und das. Resultat: Der Dschungel “deutsches Steuersystem”, ein obendrein kostentreibender Moloch von Verwaltung und entsprechender Belastung, d.h., Folgewirkung in der
Justiz. Kein Gesetz kann perfekt sein und Steuergesetze unter diesen Bedingungen erst recht nicht. Weiteres Resultat: Es hat sich eingebürgert, dass die Steuerpflichtigen legal, halblegal und auch illegal es einrichten, um
“weniger zu zahlen”. Das wissen alle Politiker, Beamten und sonstigen Fachleute; es muss solange der Einzelne “nicht überzieht” schon aus Gründen der Alltagsvernunft geduldet werden. Ein Gleichgewicht
hat sich ergeben. Und wenn die Geschäftsführer unserer Staatsindustrie mehr Geld “benötigen”, werden die Steuersätze erhöht, hier und da “Vergünstigungen” gestrichen. Zu kurz sind sie noch nie
gekommen. Insofern irrt Joachim Poss (SPD), von der FAZ akkurat zitiert:
Steuervermeidung ist sehr wohl ein “Bürgerrecht”. Auch Gewohnheitsrecht ist Recht.
Was niemand sagt:
Gewohnheitsrechtlich “sparen” einige 10 €, andere 40%, andere 5% und noch andere vielleicht 100.000 €. Gerechtigkeit total? Nicht machbar. Gibt es (himmelschreiende) Exzesse? Sicher ist richtig, dies
laufend zu überwachen und ab und zu gesetzgeberisch das Gleichgewicht neu auszutarieren.
Ehrliche, nicht heuchlerische Politik
sähe in diesem Fall so aus: “Wir haben festgestellt, dass ... werden
ändern (rationalisieren) ... erwarten zusätzliche Einnahmen von X. Daher werden die Steuersätze gesenkt um Y”. Genau das geschieht aber nicht. Auf Basis der blauäugigen und falschen Aussage von Joachim Poss gibt es nach
den 1600 € pro Familie und Jahr also eine sicherlich diskrete, weitere Steuererhöhung. Wird überlegt, dass mit einem Bundesetat von beispielsweise 750 Mrd € sogar “ich” Kanzler sein könnte, d.h., die
spezifische Befähigung zum Amt zum “persönlichen” Finanzbedarf invers proportional ist, dann ist es schlicht unverschämt, dass die Politiker von CDU/CSU und SPD auf der Basis des staatlichen Gewaltmonopols sich zu
Lasten der Bürger den Lenz machen. Dass dies so oder ähnlich heute nicht in allen Zeitungskommentaren steht, ist ohne Frage ziemlich ernüchternd.
Vereinfachung der Steuergesetze
hat die FDP seit Jahren ausgearbeitet:
Alle Ausnahmen werden gestrichen. Auch wenn die Flat-Rate nicht machbar bleibt: Einfach, klar, transparent (auch für die Finanzämter) und schon deswegen gerecht. Auch das geschieht eben nicht.
Zentraldatei, ein technischer Wahnsinn
Statt Steuervereinfachung also die zentrale Datei. Enthalten sein werden sicher- lich bis zu 60.000.000 Personen, d.h., Datensätze. Soll die Zentraldatei im Sinne ihrer Schöpfer Sinn machen, muss sie die Realität
richtig spiegeln. Wenn also dereinst die 60.000.000 Datensätze erfasst sind, wird es laufenden Änderungs- bedarf geben. Jedes Jahr sind 600.000 Datensätze zu löschen und 600.000 Da- tensätze neu anzulegen; ferner entstehen
und enden insgesamt 700.000 Ehen und Partnerschaften; 600.000 Personen nehmen die Erwerbstätigkeit auf; andere 600.000 gehen in Rente. Wegen Umzügen sind die Adressen zu ändern. In Köln sind das 180.000 Änderungen pro
Jahr, im Bund also rund 11.000.000. Sollen die Dateien - unterschiedlicher Qualität - der Einwohnermeldeämter für den Änderungsdienst genutzt werden, muss an den „Fall der BA“ gedacht werden: Nicht nur Hunderte
Millionen €, das Programm wollen wir erst einmal sehen. Oder glaubt jemand, im Dienste von richtiger Spiegelung seien keine Programmänderungen in den Kommunen nötig? Immerhin ist zu bedenken, dass beim automatischen
Abgleich die Daten der Kommunen untereinander widerspruchsfrei sein müssen. Es ist das alte Datenbankproblem: Welcher Nutzer hat Vorrang und wie ist sicherzustellen, dass unterschiedliche Nutzer (hier die Kommunen, die
Datenänderungen auslösen, d.h., bewirken) sich untereinander die Änderungen nicht „zerschießen“? Ist der automatische Abgleich vermutlich nicht lösbar, wäre das zentrale „Referat“ eine Vision von Horror:
Datentransport, beachten der Folgeänderungen zwecks Konsistenz des Datenbestandes und die Organisationsanweisung für die 4400 Mitarbeiter – 0,5 Stunden pro rechtsstaatlich und formal korrekt geändertem Datensatz - im
„Referat“. Fehlerlos kann nichts sein. Mit definierter, geringer Fehlertoleranz ist auch ein solches System noch operational. All das wollen wir im Zeit- und Kostenrahmen einmal sehen.
Spannend wird es, wenn die Regierung im Gesetzesantrag sich zu den Investitions- und Betriebskosten also schriftlich äußern muss.
Vielleicht sollten die Liberalen sich nicht weiter ärgern: Das ist technisch und realpraktisch nicht machbar, wird vernünftigerweise also nicht kommen. Allerdings, waltete Vernunft, als der Gesundheitsfond eingerichtet wurde?
Spielwiesen, Arbeitslosigkeit, Bruttosozialprodukt
SPD und CDU/CSU wollen die Vereinfachung des Steuersystems nicht. Erstens: Sie verlieren Spielweisen (etwa die Einrichtung von Instrumenten der
Politik) für dann unterbeschäftigte Parlamentarier, die möglicherweise die Zeit nutzen der obersten Spitze die Posten streitig zu machen; im Übrigen profitieren sie alle davon, den Wählern “so” “mehr”
verkaufen zu können. Zweitens: Abertau- sende Finanzbeamte hätten nichts zu tun, per Fernwirkung also zusätzliche Ar- beitslosigkeit. Anders: Die Steuerzahler “alimentieren” Mitmenschen, die letzt- lich
unproduktiv tätig sind. Das ist nicht nur ein Hauch DDR; die Beschäftigung mit un- bzw. nichtproduktiven Resultaten ist DDR-System - schon vor der Wie- dervereinigung. Drittens: Ist das Bruttosozialprodukt richtig berechnet?
Zu ver- muten ist, dass die Arbeit der Finanzverwaltung, wie die der (auch volkswirt- schaftlich unverzichtbaren) sonstigen Staatsverwaltung in den Berechnungen zum BIP enthalten ist. Das ist ein konzeptioneller Fehler. Wobei
die Korrektur der BIP Berechnung auch die entsprechenden Kosten der Bürger und Unterneh- men, vielfach enthalten, umfassen müsste. Zusätzlich - ebenfalls vorübergehen- de - Arbeitslosigkeit bis über die Märkte sich der
Ausgleich einstellt.
Wette auf ein paar Vermutungen
Was würde geschehen, wenn Protokolle der „Gespräche“ zwischen den beteilig- ten Personen (Politiker und hohe Beamte), die zum Thema seit Geburt
der „Idee“ stattgefunden haben müssen veröffentlicht würden? Wette: Es würden sich eini- ge unserer regierenden Damen und Herren bis auf die Knochen blamieren; auch Rücktritte – Kanzlerin noch gerade einmal
ausgenommen - lägen nahe.
Die o.a. Zitate von Westerwelle und Solms vor Augen ist zu fragen, wie sich die Zentraldatei – angenommen es funktioniert – weiter entwickeln würde? Dass ohne Zweifel im Sinne von
Konservativen und Sozialisten „starke Instrument“ regt an – selbstverständlich später - dies und das auch noch zu erfassen/führen. Es folgen zwecks Errettung von Abendland oder Sozialstaat Experimente mit den
Daten. Neue Ideen und Wünsche. Der Phantasie “zu gestalten und zu steuern” sind keine Grenzen gesetzt: Mitgliedschaft in Vereinen, Organisationen aller Art zur steuerrelevanten Ermittlung gemeinnütziger Tätigkeit;
Beteiligungen der Personen im In- und Ausland, schon wegen der sozialen Gerechtigkeit eine gesellschaftliche gebotene Notwendigkeit; Bewegungsdaten gibt es schon jetzt. Zweite Wette: Solcherlei „Überlegungen“ hat es
bereits in Gesprächen kleinster Zirkel gegeben, schon weil all das auf Basis der Vorstellung einer funktionieren- den zentralen Steuerdatei nahe liegt – für Sozialisten und Konservative. Der Entgegnung „niemals“
wird kühl gekontert: Korruption und Verfassungsbruch, nebst täglich sichtbarer totalitärer Attitüde sind sogar verspäteter Anlass zu tonnenweisem Misstrauen. Niemand wird darauf wetten, dass die Wahrheit der derzeitigen
Absichten bekannt sei.
Dritte Wette: Ach wie schön, dass im Sommer so viele Urlaub machen.
Über den Tag hinaus
Übrigens und leider: „Datenschutz“, d.h., die rechtliche Erwägung, ist ein
untaug- liches Argument gegen die Zentraldatei. Erstens weil das entsprechende Gesetz geändert werden kann. Zweitens, wie ausgeführt, Abendland oder Sozialstaat bedroht sein könnten und Drittens, wie ebenfalls notiert, nicht
einmal Verfassungsbruch als Tabu realpolitisch ungebrochen bleibt.
Ob die Zentraldatei im Bundestag/Bundesrat beschlossen wird, wissen wir heute noch nicht. Ignoranz, Unwissenheit, Naivität, Dusseligkeit, kollektive
Verantwortungslosigkeit, Habgier der Mächtigen könnten einzeln oder allesamt sich als Königsweg des Vorhabens erweisen. Viel wird davon abhängen, wie die Öffentliche Meinung sich entwickelt. Aber niemand wird behaupten
können, die Wähler von 1933 hätten vor allem „intelligent“ entschieden. Mehr denn je kommt es darauf an
Wider das Motto „gleichmachen und dummhalten“
Die Absichten der Sozialisten sind auf
der Basis der Geschichte, ihrer Program- me und ihrer Aussagen nachvollziehbar. Konservative in aller Welt behaupten Sozialismus abzulehnen. In der praktischen Politik stellt sich allerdings die Fra- ge wie sozialistisch die
Konservativen in Deutschland noch werden wollen. Mag sein, dass die Konservativen sich der Sozialisten nicht erwehren können. So ist halt das konservative Programm. Auch der Aufsatz von di Fabio in der FAZ vom 26. Juli 2007
löst dieses Dilemma der Konservativen nicht.
Und was ist mit den Liberalen, der FDP? Ihre Last ist schon wieder gewachsen. Aufgabe in diesen Monaten ist es, Konservative und Sozialisten davon abzuhal- ten die
Demokratie (Demokratie!) weiter zu beschädigen. Wichtig ist, die Untiefen des Machbaren nicht zu unterschätzen.
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