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Sozialistische Sichtweise

Stand: 12. Juni 2007, 15:00
letzte Änderungen kursiv gesetzt

Sozialistische Sichtweise der Globalisierung

Seit einigen Jahren ist sozialistischerseits zu hören, die Globalisierung sei gerecht zu gestalten. Globalisierung wird zwar auch im Folgenden von Oskar Lafontaine nicht definiert, aber immerhin erfahren wir (endlich) was unter “gerechter Gestaltung” verstanden werden soll.

Auszug aus dem Interview von Oskar Lafontaine mit Nico Fickinger von der FAZ-Redaktion, veröffentlicht am 4. Juni 2007.

Nächste Woche beginnt der G-8-Gipfel in Heiligendamm. Was erwarten sie?
Wenn führende Industrienationen ihre Politik koordinieren wollen, hat das immer einen Sinn ... Aber solange die Politik in Amerika und Großbritannien von der Finanzindustrie gekauft ist, wird es keinen Durchbruch geben.

Haben Sie Verständnis für die Demonstranten?
Die jetzige Form der Globalisierung führt zu großem Leid und großem Elend ... Die G8-Kritiker und Kriegsgegner ... bedauern, dass Gewaltbereite die Demonstrationen stören. Diese Gewalt spielt eher denen in die Hände, die daran interessiert sind, dass die Folgeerscheinungen der Globalisierung wie Krieg, Hungersnot und Umweltzerstörung nicht thematisiert werden.

Müßten die Menschen statt gegen nicht für die Globalisierung und für Marktöffnung demonstrieren, damit die internationale Arbeitsteilung endlich auch den Entwicklungsländern zugute kommt?
Auch das fordern wir: faire Handelsbedingungen im Rahmen der WTO und Streichung der Exportsubventionen für die Landwirtschaft. Die Stabilisierung der Wechselkurse, die Kontrolle des Kapitalverkehrs und faire Preise für in Afrika und Asien dringend benötigte Medikamente ... eine Entschuldung ist unerläßlich ...

Viel Geld bleibt in den Entwicklungsländern auch an den Händen korrupter Eliten kleben. Sollte man den Geldhahn der Entwicklungshilfe nicht lieber zudrehen, weil er zu einer Subventionsmentalität und Lethargie führt?
Ich würde es befürworten, wenn die G8 Länderpatenschaften beschließen und sich verantwortlich erklären würden, in afrikanischen Staaten den strukturellen Aufbau selbst in die Hand zu nehmen. Ich glaube, eine solche Vorgehensweise, die die bisherige teilweise mit der Gießkanne verteilte Entwicklungshilfe ersetzen würde, hätte großen Erfolg. Wenn man den Ausbau der Krankenhäuser, Schulen und der Verkehrswege in eigener Regie vorantreibt, kann man mehr bewirken und behält die Kontrolle darüber, was mit den Geldern geschieht.

      Hinweis: Die letzte Frage und Antwort werden gebracht, um zu zeigen, dass Lafontaine sehr wohl in der Lage ist, vernünftige Denkansätze zu bringen. In diesem Fall allerdings ist es naiv zu erwarten, dass die Menschen in solchermaßen ausgewählten Länder bereit sein könnten, sich in ihre Angelegenheiten hereinreden zu lassen.
       



Der Definition von Globalisierung im Liberalen Tagebuch ist nur hinzuzufügen, dass durch den massiven Einsatz digital-elektronischer Informationsverarbeitung die Breite und Geschwindigkeit der weltweiten Kommunikation enorm zugenommen hat. Nichts sonst bestimmt die “jetzige Form der Globalisierung”.

Da aber dazu Lafontaine keine Gestaltungsmaßnahme erwähnt bleibt, letztlich offen, was Lafontaine mit der “jetzigen Globalisierung, die zu Leid und Elend führt” meint. Denn die von Lafontaine erwähnten Maßnahmen konterkarieren - aber nur theoretisch - Umstände, die unter Berücksichtigung der europäischen Kolonialpolitik, seit Jahrhunderten eingetreten sind. Das “jetzig” ist also keine ernsthaft begründete Aussage - sozialistische Rhetorik eben.

Das an unseren Maßstäben bemessene, weltweit verbreitete Leid und Elend wird durch die Gestaltung nach Lafontaine, vom Freihandel abgesehen, nicht um ein Jota und erst recht nicht nachhaltig vermindert.

Freihandel

Zum Thema Freihandel ist Lafontaine in aller Seelenruhe an die Konservativen und große Kreise seines sozialistischen Lagers zu verweisen. Nicht gewollt sind Strukturanpassungen, die heftige wirtschaftliche und politische Störungen auslösen, weil das System, d.h., die erwerbswirtschaftlich aktiven Akteure, durch staatliche Regulierungen aller Art (Sozialpolitik, Industriepolitik, geduldete und kreierte Monopole) die Fähigkeit zur Anpassung hochgradig verloren haben; dieser Verlust der Anpassungsfähigkeit ist allerdings auch auf die zunehmend arbeitsteilige Gesellschaft zurückzuführen. Dies umzukehren erwähnt, da offenkundig weder machbar noch zielführend, Lafontaine nicht. Zu erinnern ist hierzu, dass die sozialistischen Regime des 20. Jahrhunderts, deren politischen Überbleibsel Lafontaine sich angeschlossen hat, schon mangels wirtschaftlicher Kapazität zum freien Handel keinen nennenswerten Beitrag leisten konnten. Die berechtigte Forderung zum Freihandel ist bei Lafontaine nur Rhetorik, denn wir wollten ihn regierend sehen, wenn es an das Eingemachte geht und die “Gewerkschaften um einen Gesprächstermin bitten”.

Stabile Wechselkurse

Die Forderung “Wechselkurse zu stabilisieren” ist eine abenteuerliche Vorstellung. Es müsste eine Welt-Gewalt geben, die in der Lage ist, die Ursachen für Wechselkursänderungen zu unterbinden. Es kann konzediert werden, dass die Wechselkurse “sich ändern”, weil Akteure, die “über Finanzmittel, d.h., Geldguthaben verfügen” “tätig” sind. Allerdings ist zu erkennen, dass etwa Finanzhaie aufgrund von Entscheidungen und Maßnahmen in der Staatssphäre (“Staatsindustrie”) Kapital bewegen. Lafontaine argumentiert für das lokale Publikum, die Politik in Amerika und Großbritannien sei gekauft - damit die Finanzindustrie Profite machen kann; das Argument ist sicherlich schlau, denn wenige hier haben ausreichende Kenntnis über die Verhältnisse in anderen Ländern. Auch Korruptionsvorgänge zu verallgemeinern ist zwar machbar, aber logisch falsch. Zwar ist unter einem Regime einer, am besten weltweiten, Planwirtschaft die Stabilisierung der Wechselkurse “denkbar”, führt aber in der Konsequenz zu, bzw. setzt voraus, was erwiesen weder funktioniert noch wünschenswert ist: Totalitarismus. Für Planwirtschaft ist Lafontaine noch nie eingetreten. Er wird wissen warum. Also ist das Pladoyer für die heile Welt stabiler Wechselkurse nichts als Rhetorik.

Kontrolle des Kapitalverkehrs

Der Kapitalverkehr soll nach Lafontaine “kontrolliert” werden. Erste Konsequenz: Es soll Kapitalverkehr stattfinden, sonst hätte Lafontaine im Interview erwähnen müssen “Kapitalverkehr unterbinden”. Da Kontrolle sicherlich nicht im Sinne von Überwachung, sondern dem Unterbinden bestimmter Kapitaltransfers gemeint sein kann, ist zu fragen “welche?” Im kurzen Interview konnte er dazu nichts bringen. Aber es gibt auch sonst wenig bzw. gar nichts Brauchbares. Selbstverständlich muss unzulässig sein, dass ein Unternehmen in Deutschland (von einem “Ausländer”, d.h., auslandbasiertem Kapitaleigner) erworben wird, der Vorstand/Geschäftsführung veranlasst wird, den Kredit für den Kauf in der eigenen Bilanz zu passivieren und nach einigen weiteren Schritten, etwa der Entnahme verwertbarer Aktiva, der Pleite auszusetzen oder es schlicht zu schließen. Ohne dies vollständig auszuargumentieren ist zu fragen: Kommt das ab und zu vor oder in unerträglich hohem Umfang. Im ersten Fall: Geschenkt; Politik wird auch nicht abgeschafft weil Korruption stattfindet ... auch in seiner Zeit als SPD-Vorsitzender.

Es muss gesehen werden, dass Operationen wie die vorstehend beschriebene nur dann “Ertrag abwerfen”, wenn das Opfer wirtschaftliche ausreichend marode ist. Keine Bank ist vorstellbar, die die Verschlechterung der Bonität eines Kredites akzeptieren wird. Im Falle der Liquidation ohne Pleite, sind immerhin die “verwertbaren Teile der Aktiva” erhalten geblieben, also unverändert wirtschaftlich aktiv. Und zur Schwäche zu vieler Unternehmen müssen sehr wohl etwa die Gewerkschaften befragt werden. Ihre Lohnpolitik unter dem Rubrum Umverteilung hat zur Folge, dass der Profit sinkt, der Unternehmer die Motivation verliert und / oder nicht ausreichend investiert und kapitalisiert. Unter der Voraussetzung, dass Marktwirtschaft gewollt ist, könnte mit Liberalen über Maßnahmen zur Eindämmung von Auswüchsen problemlos Einvernehmen hergestellt werden. Jene, also etwa Lafontaine, die es alles so gut wissen, bringen dazu allerdings nichts.

Faire Preise

Mit fairen Preisen für dringend benötigte Medikamente sind in erster Linie die Mittel zur Linderung von Aids gemeint. Kein Frage, ein hässliches Thema. Wieviel Milliarden sollen es denn sein? Danach ist weiter zu sehen.

Verschuldung der Entwicklungsländer

Lafontaine geißelt außerhalb des o.a. Zitates den Umstand, dass aus den Entwicklungsländern mehr Geld herausfließt als hereinkommt. Alternative: Keine Kredite? Oder nur bestimmte? Lafontaine plädiert gemäß der vierten o.a. Antwort für die Bevormundung seitens der Industriestaaten ... Da kann insbesondere den Konservativen nur geraten werden: Tut es nicht, denn Sie würden mit dem Vorwurf, “Kapitalinteressen” zu vertreten konfrontiert werden.

Es wird doch durch Erlassen entschuldet. Möglicherweise soll es nach Lafontaine mehr sein. Eine Zahl hätte er im Interview geben können. Hat er aber nicht.

Übrigens: Unsere Staatsverschuldung ist mit 18.000 €/Einwohner auch nicht von schlechten Geistern. So manche Bananenrepublik hat so gesehen einen besseren Finanzstatus. Zwar ist die Wirtschaftskraft Deutschland höher, aber es könnte der Augenblick kommen, in dem Einzelne kühl rechnend zu dem Ergebnis kommen, dass es nicht lohnt, an der Tilgung der Last beteiligt zu sein. Aus der Sicht der Entwicklungsländer ist eine gerechtere “Gestaltung der Globalisierung“ nicht denkbar. Dies gilt besonders, wenn Sozialismus nicht bei ihnen, sondern bei uns stattfände. Hunde gibt es Deutschland auf jeden Fall ausreichend; sie würden ohne Zweifel ihre Letzten finden ...

Fazit und Bewertung

Alles in allem betrachtet, macht Lafontaine nicht nur Rhetorik. Er agitiert nach der Demagogenart, die wir im vergangenen Jahrhundert “ausreichend” hatten. Im übrigen operiert er auf einem moralischen Hochplateau (Begriff nach Handelsblatt (?) vor einigen Tagen). Auf dieses Recht sollte er, der “Rostock” als “Störung einer Demonstration” bezeichnet, ebenfalls moralisch argumentierend, vorsichtshalber verzichten.

Auch unseren Konservativen ihr Fett:

Niemand hat die CDU/CSU gezwungen, trotz vielfach “sozialistischer Maßnahmen” der SPD die Hände in der großen Koalition zu binden. Die SED erhält so ein freies Schussfeld - im Übrigen im Interesse aller Sozialisten. Der Nachteil des Streites um die Positionen ist angesichts des erreichten “Fortschrittes” aus sozialistischer Sicht ein offenkundig akzeptabler Nachteil.

Vor diesem Hintergrund hat die FAZ aus Frankfurt ihren antiliberalen und Anti- FDP-Kurs in der letzten Zeit verschärft und vor allem raffiniert verfeinert. Die Liberalen würden auch das irgendwie überleben; aber zahlen würden jene, denen es nicht gut geht ...

Irgendwelche Fragen, Freunde?           

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