Stand: 23. August 2003, 18:00
Globalisierung
Ein Begriff in aller Munde.
Großschiffe, Eisenbahnen, Automobile und Flugzeuge ermöglichen seit 1900, zunehmend, großräumige Mobilität von Millionen. Seit und mit der Erfindung von Telegraph, Telefon, Radio, Flugzeug, Fernsehen und dem Internet haben Menge und Intensität des Nachrichtenflusses, also der Kommunikation allmählich und zuletzt vermutlich exponentiell zugenommen. Die Welt erlebt sich reflexiv im Sekundentakt. Mobilität und Kommunikation verstärken sich gegenseitig, obwohl Millionen, wohl Milliarden, von Kommunikation und Mobilität ausgeschlossen sind. Letzteres nicht nur aus rein physikalischen, sondern auch aus mentalen Gründen; dennoch nehmen die maßgeblichen Kreise aller Länder an dem Sekundentakt-Welt-Erleben teil. Menschen aller Berufe und aller Schichten lernen sich (durchaus abstrakt) kennen: Ihr Sein, ihre Reaktionen und ihr Verhalten, ihre Absichten, ihre Wünsche, ihre Hoffnungen sind erlebbar. Dieses Erleben entfaltet Wirkungen, die kaum beschreibbar, erst recht nicht beherrschbar sind. Nur einiges wird erkennbar. Etwa:
- Homogenisierung des Produkt- und Dienstleistungsangebotes auf allen Märkten; statt einen wirtschaftlichen Reifeprozess zu durchlaufen,
stellen sich Evolutionsbrüche mit kurzfristig wirksamen Nachteilen für die Schwächsten ein
- Rationalisierungs- und Qualitätsdruck auch in der Dritten Welt, der in Verbindung mit dem Produktesog in die Entwicklungsländern per saldo
das soziale Gefüge zunächst mehr belastet als festigt.
- Verstärkter Brain-Drain zu Lasten der Entwicklungsländer. Die entwickelten Länder konkurrieren um die besten Köpfe; viele Potentials ziehen
es vor, etwa 3000€ als Angestellte in entwickelten Ländern zu verdienen, statt im eigenen Land ein Unternehmen zu gründen und zu führen.
- Verstärkter Wanderungsdruck, der Belastungen und Konflikte aller Art sowohl in den Zielländern, an den Grenzen so wie in Herkunftsländern
auslöst.
- Auch Kapital ist, bedingt durch die Mobilität der Menschen, weniger ortsfest als früher. Menschen, Unternehmen und Organisationen bewegen
ihr Eigentum im Dienste besserer Rentabilität; es gibt außerdem, wörtlich genommen und weitverbreitet sogenannte Kapitalflucht schon bei kleinen „Störungen“ im sozialen, wirtschaftlichen und politischen Umfeld.
Zu allen solchen Erscheinungen gibt es Ausnahmen und mannigfaltige verstärkende, auch abschwächende Rückkopplungen; die entsprechenden Gesetzmäßigkeiten sind ex ante
nicht bestimmbar. Bei genauerem Hinsehen werden zahllose “Ei-Henne-Abhängigkeiten” erkennbar.
Viele Wirkungen ließen sich relativ einfach „weggestalten“; solcherlei Maßnahmen und Verabredungen laufen allerdings stets auf Freiheitsbeschränkung hinaus.
Eigentlich sind Freiheitsbeschränkungen aller Art seit je her dem Sein jeglicher Gesellschaft inhärent. Nur: Sollen etwa Reisen, Kommunikation, Warenaustausch bewusst, d.h., absichtlich beschränkt werden? Nicht einmal
Akteure, dazu auch nur geistig legitimiert, können gefunden werden. Auch bei gegebener demokratischer Legitimation wird die konzeptionelle Qualität der Gestaltungen (“im Dienste der Menschheit”) nicht besser.
Globalisierung also ein Phänomen, intensiv, hochkomplex in seinen Wirkungen. Daher ist es völlig unverantwortlich prozesspolitische Operationen, d.h., Maßnahmen zur
Gestaltung der Globalisierung anzukündigen, gar auszuführen. Denn Globalisierung entzieht sich positiver Gestaltung. Gestaltete Globalisierung ist genauso wenig machbar wie Planwirtschaft. Schon
die Zielsetzung solcher Politik ist nicht definierbar; dies gilt erst recht für eine konsensuale Zielsetzung.
Was allerdings geht, ist Verabredungen in der Welt herbeizuführen, um definierte Probleme zu lösen; hierbei darf wiederum die Schwierigkeit, ein Problem überhaupt zu
beschreiben nicht unterschätzt werden.
Wird evolutiv, in kleinen Schritten vorgegangen, lassen sich Fehler am besten vermeiden, wird Menschenwürde am ehesten beachtet, weil erst so die meisten mitgenommen
werden können. Mehreres ist zu beachten: (1) Es wird oft umstritten bleiben, ob ein Fehler vorliegt oder worin das als Fehler bezeichnete Prozessresultat besteht; (2) „ ... in Schritten vorgegangen, ... “ vorgegangen
also muss werden. Reform ist in der vernünftigen Gesellschaft ein Diktat; „Modernisierung“, nichts als die Tautologie dazu. (3) Die Schrittgeschwindigkeit darf nicht beliebig klein sein. Auch leichter Problemdruck muss
Schritte auslösen. Konservative und Sozialisten, die geborenen, also natürlichen gedanklichen Blockierer der Menschheit einmal außen vorgelassen: „Die Politik“ hat Angst einzugreifen, zu gestalten? Nachvollziehbar, denn „sie“ kennt
die Wirkungen ihres Handelns bestenfalls in Umrissen und im Falle von Makromaßnahmen gar nicht. Also? Befreit die Menschen von den Menschen, anders: Menschen entfesselt von Euch selber. Gesellschaftsvertrag?
Selbstverständlich. Aber freiwillig, d.h., demokratisch, transparent. Nicht oberschlau-geheim, da Menschenrecht.
Selbstverständlich hängt in der globalen Welt einiges von unserem Verhalten ab. Wer hat Vorteile von Importen preiswerter Waren? Wer hat den Vorteil von unseren
Zollschranken? Wer hat den Vorteil von dem daher stattfindenden kreditfinanzierten Konsumgüterimport der Dritten Welt? Was sagt denn die sonst so sozialgerechte SPD dazu? Lesen Sie Rede der Ministerin für wirtschaft- liche Zusammenarbeit vom 8. Mai 2003. Toll, nicht wahr? Ob die fulminante Ministerin überhaupt merkt, was sie verzapft hat?
Wer der Globalisierungs-Gestaltung das Wort redet, handelt wider besser Wissen und auf jeden Fall verantwortungslos.
(Beitrag wird nach Auswertung relevanter Literatur noch ergänzt)
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