Stand: 20. Mai 2013 , 20:00 / 20.-23.07.11 / 14.12.08 / 08.01.08 / 25.01.07 / 18.01.06 / 21.10 + 25.09.05 / 28.07.05 / 11.12. + 30.11.04 / 24.10.04 / 09.07.04 / 06.03.04 /
12.11.03 / 23.+16.09.03 / 30.07.03 / 19.+18.01.03 / 10.01.02 / 19.06.01
(letzte Änderungen, wenn nicht geringfügig oder nicht nur ergänzend, kursiv gesetzt)
Die Unbestimmtheit sog. sozialwissenschaftlicher Theorien hat Konsequenzen für liberale Werte- und Prozesspolitik
erweiterte/verbesserte Fassung in: www.liberale-notizen.de/theorie/unbestimmtheit/unbestimmtheit.html
Sozial-Klempner, soziale Bastelei, sozialfriemeln, Sozialingenieure sind gängige Wörter, die im Zuge der proliberalen, d.h., antisozialistischen Polemik erfunden wurden. Der ernste Hintergrund: Noch so gut gemeinte Ideen u. Maßnahmen zum Bekämpfen, Überwinden oder Abstellen von Umständen, die als unerwünscht
gefunden bzw. definiert sind, haben letzten Endes das Ziel erreicht. Hierzu zählen insbesondere die Versuche, Menschenbilder so zu entwerfen (gestalten),
dass die zuvor gefundene Theorie dazu passt. Die Komplexität von Gesellschaft und Mensch ist nur untergeordnet der Grund dafür, dass Sozialwissenschaften
etwa das Prädikat “exakte Wissenschaften” nicht zugeordnet wird. Die viel tiefere Ursache für diesen Umstand wird im folgenden beschrieben:
Definition für Sozialwissenschaftliche Unbestimmtheit::
Die Gesellschaft (G) kann die Gesellschaft (G) nicht erkennen, nicht verstehen. Die (umfassende) Selbsterkenntnis des Menschen ist nicht möglich.
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Der gedankliche und begriffliche Pate der Idee ist das Prinzip der quantenme- chanischen Unbestimmtheitsrelation, meist bekannt als die Heisenbergschen Unschärferelation (1927). Von weiteren, möglicherweise noch unentdeckten
Analogien zwischen dem Prinzip der sozialwissenschaftlichen Unbestimmtheit und der quantenmechanischen Unbestimmtheit abgesehen, sind hier die beiden folgenden von Bedeutung:
- Beobachtung und (gedankliches) Experiment, beeinflussen und verändern genau dadurch das Objekt (Gesellschaft).
- Dies bedingt prinzipiell die begrenzte Aussageschärfe jeglicher Ge- sellschaftswissenschaft und -lehre. (1)
Wird nämlich eine Theorie (A) der Gesellschaft (G) „gefunden“, veröffentlicht und damit von der Gesellschaft gelernt (Beobachtung, Experiment, s.o.), ist
die Theorie (A) im Sinne ihrer Anwendbarkeit zwecks Prognose in keinem Fall länger gültig; die Theorie (A) wird durch Lernen ungültig - wobei (A) als Wissen selbstverständlich erhalten bleibt.
Bemerkungen zur Vorgehensweise
“Anders” ist eine Gesellschaft schon dann (geworden), bzw. eine neue/andere Gesellschaft ist schon dann entstanden, wenn das erste Bit zusätzlichen Wissens hinzugefügt ist. Hier relevant, gemeint
und behandelt sind Fälle von Wissenszuwachs, die signifikante Veränderungen des Verhaltens der Individuen hervorrufen. Selbstverständlich - hier nicht weiter vertieft - verändert sich das Verhalten
vieler Personen schon dann, wenn nur Erfahrungswissen anfällt.
Mit der “sozialwissenschaftlichen Unbestimmtheit” wird auch Kritik geübt. Insbesondere an Aussagen
zu “erkannten Gesetzmäßigkeiten” über soziale Prozesse, d.h. Prozesse an denen in irgendeiner Weise Individuen beteiligt sind. Hier nicht von Bedeutung ist sog. Definitionswissen, aus dem nichts
Kausales folgt. Etwa: “Der Mensch mag seine Gewohnheiten”. Der Aussagende will, kann und darf ungenau formulieren. Problematisch vor dem Hintergrund der sozialwissenschaftlichen
Unbestimmtheit ist jedoch die Fortsetzung der Aussage in der Form “und deswegen ... “
Es kommen 10 Sätze mit denen das Prinzip, die sozialwissenschaftliche Unbestimmtheit,
gegründet, beschrieben und “bewiesen” wird. Nach der kursorischen Bestandsaufnahme in Satz 1, die sozusagen als Grundgesetz verstanden werden soll, sind zunächst vier Sätze in abnehmender
Abstraktion formuliert. Es wird dadurch das Prinzip Schritt für Schritt verständlicher.
Aus allen 5 Sätzen abgeleitet, werden in Abschnitt (B) drei weitergehende, zwingende “Theoreme” mit teilweise überraschenden Aussagen formuliert.
Mit der Darstellung in Abschnitt (C) zweier von möglicherweise sehr vielen Wertepostulaten, die
sich aus dem Prinzip ergeben, ist der Erklärungsteil abgeschlossen.
Abschnitt (D) könnte vorab gelesen werden. Die wahre Bedeutung der relativ schlichten Aussagen
ergibt sich aber erst auf der Basis des Verständnisses der sozialwissenschaftliche Unbestimmtheit. Wie arm wäre unsere Welt mit Einheitsmenschen. Dargestellt in Abschnitt (D) ist also der Treibsatz
für die Dynamik des “gesellschaftlichen Prozesses” zu dem etwa auch die leider existente intrasozietäre Gewalt, ihre Akteure und ihre Profiteure gehören.
Mit den Abschnitten (E) und (F) kehren wir, teilweise kursorisch dargestellt, in die Welt “real existierender Personen” zurück ...
(A) Beweis / Begründung
Satz 1, philosophische Prämissen: Die gedankliche Kette zum Prinzip der
sozialwissenschaftlichen Unbestimmtheit beginnt mit dem “ich weiß, dass ich nichts weiß” (Sokrates) über die Forderung, Beweise wissenschaftlicher Theo- rien durch den Versuch der Falsifikation (Popper) zu führen, den Antikons-
truktivismus (von Hajek) bis zum “Schiffbruch der Systemtheorie”. Letzteres
weil der Umstand von der ‘Systemkenntnis Teil des Systems’ “logisch intraktabel” ist” (Vgl. Niklas Luhmann, “Gesellschaft der Gesellschaft”, Ffm 1997, Bd.1, S.15 im Vorwort) (2)
Satz 2, die mengentheoretische Logik: Lernt die Gesellschaft (G1) ihre (i.S. von “eine”) Theorie (A1), verändert sich das Bewusstsein der Gesellschaft (G1).
Die Gesellschaft (G1) existiert nicht mehr, sie hat sich in die Gesellschaft (G2) verwandelt. In mengentheoretischer Symbolik ausgedrückt
G2 = G1 + A1
Beweisskizze: Wenn A1 (neues Wissen) mehr als die Leermenge ist und in G1
(folglich) nicht (explizit) enthalten ist, dann ist G2 > G1 (d.h., G2 mehr als G1). Also kann A1 für G2 nicht gültig sein. Das pragmatischere “nicht hinreichend
gültig” ist, weniger streng, als “nicht gültig” und deswegen zu verwerfen. Es macht keinen Sinn, den “Schiffbruch der Systemtheorie” durch sprachliche Verunklarung zu beseitigen.
Satz 3, statische Betrachtung: Da das in den Menschen gespeicherte Wissen
selbstverständlich konstitutiver Bestandteil der Gesellschaft ist, verändert ebenfalls selbstverständlich neues Wissen über die Gesellschaft, der gleichen
Gesellschaft also hinzugefügt, d.h., gelernt, diese Gesellschaft - mal mehr, mal weniger. Dieses neu gewonnene Wissen ist damit Wissen über eine frühere, andere, nicht mehr existente Gesellschaft.
Beweisskizze: Die Gleichung “G2=(G1+A1)” sagt es aus. Wenn A1 in G2 aber nicht in G1 enthalten ist, ist G2 nicht die gleiche Gesellschaft wie G1; ihre
Differenz ist mindestens A1. (Ggf. zuzüglich der Folgen aus der Kenntnis von A1 plus durch Zeitablauf angefallenes Erfahrungswissen).
Satz 4, dynamische Betrachtung: Wissen diffundiert in der Gesellschaft (G);
lernt Gesellschaft (G) “ihre” Theorie (A), werden die Individuen (Gi), wie in jedem anderen Fall von Lernen, hier bedingt durch das neue Wissen, sich entsprechend anders verhalten.
Die Individuen reagieren beispielsweise erwartungs- bzw. prognosebedingt potenzielle Probleme abwehrend und potenzielle Vorteile anstrebend. Es
akzeptieren die Individuen (Gi) etwa die mit Hilfe der Theorie (A) prognostizierten unerwünschten (künftigen!) Zustände nicht. Betroffene oder interessierte
Individuen (Gi) entwickeln Anti-Theorie-(A)-Strategien/Verhaltensweisen mit der Konsequenz, dass die Theorie (A) über die G1 hinfällig wird. (3)
Beweisskizze: Die Menge der theoretisch erwarteten, Theorie-(A1)-bedingten Prozessergebnisse kann nicht eintreten; denn nach
Satz 2 und Satz 3 wird die Theorie (A1) ungültig geworden sein; es wird an Ihre Stelle (bis auf weiteres un- erkannt) die Theorie (A2) getreten sein; (A2-A1) ist im Grenzfall eine Leermenge.
(Nicht immer, sogar eher selten “entsteht” zusätzliches/neues Prinzip-Wissen. Die Gesellschaft (A1) verändert sich überwiegend “nur”, weil Individuen Altwis-
sen lernen und durch die Akkumulation von Erfahrungswissen.)
Satz 5, das übergeordnete philosophische Prinzip: Möglicherweise ist, be- zogen auf die Menschheit und ihre Individuen, schon früher formuliert worden:
Das Sein entrückt der Erkenntnis
Beweisskizze: Beachten von Satz 4 in Verbindung mit Lernen und Definition von Gesellschaft
(B) Weitergehende Theoreme
Die vorstehenden 5 Sätze lassen sich in lockerer Sprache, mehr als lediglich eine Umformulierung, weiter verallgemeinern. Die folgenden Aussagen sind zum
Teil überraschend.
Satz 6, Wissensexpansion: Aus Satz 2 und Satz 4 folgt, dass wie in Satz 5
ausgedrückt, (auch) die Gesellschaft (G) dem erschlossenen Wissensraum stets enteilt. (“enteilt” nicht als handeln verstehen).
Beweisskizze: Wir, die Gesamtheit der (einzelnen) Individuen, werden den Wissensraum jedoch nie vollständig erschließen können; auch gemeinschaftlich,
als Gesellschaft (G) können wir den Wissensraum nie erschließen. Real und praktisch ist der Wissensraum nämlich prinzipiell und logisch unbegrenzt:
Aussagen ergeben zeitversetzt Aussagen und diese ihrerseits Aussagen ...
Dies alles gilt unabhängig davon, dass nach heutiger Wahrnehmung außerdem
die Grenzen zum Mikro- und Makrokosmos offen sind und daher (fast sicher) auch gedanklich nie überwunden werden können; möglicherweise aber ist genau
Letzteres der Grund dafür, dass weitergehend der potenzielle Wissensraum nicht erschlossen werden kann. Wissen wird - von Vernichtung/Verlust der Dokumente, Zeugnisse oder Personen abgesehen - immer zunehmen. Dieser
Satz 6 gilt also ad aeternum - die sozialwissenschaftliche Unbestimmtheit aber auch.
Satz 7, Die Kraft der Beschränktheit: Da alle (lernenden) Individuen G(i) stets
Mitglied der insofern “offenen” Gesellschaft (G) sein sollen, gibt es keine nachhaltig gültige Theorie (A) über die Gesellschaft (G).
Beweisskizze: Es gibt lediglich Theorien über Gesellschaft in der geschlossenen
Gesellschaft, der nicht alle Menschen angehören, weil einige sich abgesondert haben bzw. abgesondert wurden und oft Transparenz vermeiden bzw. müssen.
Wichtige Beispiele sind die Praxis der Unnahbarkeit insbesondere von absolut Herrschenden Individuen, Familien, Hofstaat, Cliquen oder das (legitimierte) Direktorium einer Zentralbank.
Satz 8, das Perplexitätsprinzip: Richtigkeit/Beständigkeit setzt - (zumindest)
für die Klasse der sozialen Prozesse - Unwissen voraus. Präzisiert: Es gibt sozialwissenschaftlich potenzielle Befunde, deren Richtigkeit nur dann gegeben ist, wenn diese potenziellen Befunde nicht bekannt sind.
Beweisskizze: Eine richtige Theorie (A) zur Gesellschaft (G) kann nur dann bestehen, wenn G keine Kenntnis von A erhält. Das System G darf also durch
die Information A nicht beeinflusst, damit nicht verändert (worden) sein.
Sonderfall: ggf. temporäres Herrschaftswissen. Herrscher sind in dieser Rolle
kein Teil der offenen Gesellschaft. Beispiel Zentralbank: Bezüglich des Wissens künftiger Zinspolitik ist das (legitime) Gremium kein Teil der offenen Gesellschaft.
Im Gegenteil, diesbezüglich ist (muss sein) das Gremien selbst eine geschlossene Gesellschaft, die folglich in dieser Rolle (logischerweise) kein Teil einer offenen Gesellschaft sein kann.
(C) Wertepostulate
Satz 9, Ethik der Beschränkung und der Unwissenheit:
Beweisskizze: Warum gar krampfhaft nach den Grenzen streben? Der (Gesamt-)
Wissensraum bleibt so wie so für immer unerschlossen. Schon deshalb ist die offene Gesellschaft von sehr gut begründeten Ausnahmeerscheinungen abgesehen, ethisch vernünftig.
Satz 10, eine unmittelbar “politische wirksame” Verallgemeinerung:
Sozialismus ist der (nachvollziehbar verständliche) Versuch, Ungewissheit und Unwissenheit - damals war das Prinzip der sozialwissenschaftlichen
Unbestimmtheit nicht formuliert - durch Postulate, Axiome oder Regeln (z.B. historischer Materialismus) zu umgehen bzw zu überwinden.
Beweisskizze: Während Hegel Ungewissheit und Unwissenheit durch Prinzipi- en-Erkenntnis zu überwinden sucht, provoziert Karl Marx im Lichte der
gesellschaftlichen Realität seiner Zeit den Purzelbaum der Aufklärung - die fällt dabei auf das Genick. Denn die spätere (prosozialistische) Wirkung der
marxistischen Postulate und auch Dogmen war die Beschränkung gedanklicher Freiheitsgrade, d.h., eine Grenzsetzung, die sogar in den potenziellen
Wissensraum hineinwirkte. Karl Marx hat also vollendeten Totalitarismus im Postulat (Dogma?) von der Diktatur des Proletariats (vielleicht nur instinktgesteuert) angelegt.
(D) Rezeptions- und andere Hemmnisse
Im Zuge des “täglichen Lebensgefechtes” wird die sozialwissenschaftliche Unbestimmtheit, im menschlichen Instinkt durchaus verankert, aus folgenden
Gründen kaum wahrgenommen, häufig verdrängt:
- Der Prozess des Lernens ist nicht spontan, sondern verbraucht Zeit:
(a) Der Lernvorgang beginnt für die Individuen G(i) nicht zu gleichen Zeitpunkten.
(b) Bezogen auf ein Individuum ist der Übergang vom Zustand Nicht-Wis-
sen in den Zustand Wissen fließend. Die Dauer des Überganges ist für jedes Individuum unterschiedlich.
(c) Eine Gesellschaft hat ggf. auch dann gelernt, wenn nicht alle Individu- en, d.h., lediglich eine Teilmenge G(i) der Individuen, etwa der maß-
gebliche Verkehrskreis, ein bestimmtes Wissen erlangt hat.
(d) Der Zeitpunkt, zu dem eine Gesellschaft also insgesamt gelernt hat,
ist unter Umständen erst im Nachhinein und wenn überhaupt nur ungenau feststellbar.
- Praktisch relevant ist die sozialwissenschaftliche Unbestimmtheit ohnehin nur bezogen auf künftiges Geschehen. Das Prinzip ist also auch irrelevant
(i.S. von “findet keine Anwendung”), wenn der Prognosezeitraum, t -> 0, gegen Null geht. Die die Gesellschaft bestimmenden Parameter ändern
sich normalerweise nur allmählich; die früheren Werte sind eine Zeit lang noch (genau genug) gültig.
- Die unter 1. und 2. beschriebenen Wirkungen addieren sich: Jetzt-Reali-
tät wird erst später gelernt (bewusst). Dies ist ein wichtiger Grund für das Scheitern von Planwirtschaft.
- Das Prinzip der sozialwissenschaftlichen Unbestimmtheit gilt auch für den Einzelnen bezüglich der Fähigkeit sich selbst zu erkennen. Die
unerbittliche Rationalität des Prinzips haben die Menschen, seit Geschichte geschrieben wird, durch Religion (wobei Religion noch mehr “bietet”) überwunden. In Rationalität und Psyche wird erläutert, warum der areligiöse Einzelne auf Grund des inhärenten Überlebensinstinktes am Prinzip der sozialwissenschaftlichen Unbestimmtheit in keiner Weise
“verzweifeln” (was ist der Sinn des Lebens?) muss.
Diese Ausführungen erklären sozialistisches Regelungsverhalten: Regelung ist (auch !!!) die Abwehr von Veränderungen, die Realität dynamisieren. Die frühere
Bildung (s. von Hajek: Konstruktivismus) ist nur dann in der Praxis stabil, wenn die (früheren) Prämissen noch gültig sind. Deswegen hat es übrigens so lange
gedauert, bis die sozialistischen Regime des 20. Jahrhunderts überwunden wur- den. Wie Recht hatte KH Flach mit den Ausführungen zum Wissen und den Konsequenzen dieser Einsichten in seinem “kleinen liberalen Katechismus” .
Flach benutzt rhetorisch den Begriff der politischen Relativitätstheorie. Gedankenspiele im
Hinblick auf Analogien zwischen den vorstehenden Überlegungen zur sozialwissenschaft- lichen Unbestimmtheit und der Relativitätstheorie von Einstein einerseits so wie der Quan-
tenmechanik von Planck andererseits, kommen im Rahmen des (politischen) Liberalen Tagebuches erst, wenn Ausführungen zu deren politischer Relevanz erkennbar werden. Klar
aber ist, dass in den geisteswissenschaftlichen Seminaren und Fakultäten der ganzen Welt die Unruhe eines Bienenstocks ausbricht, sobald die erste Dissertation oder Habilitation mit
dem stringenten Beweis “zum Thema” vorliegt ... Eine letzte Prognose: Studiert Psycholo- gie/Psychiatrie, es wird in dem Beruf (zumindest vorübergehend) Engpässe geben, denn Sozialisten werden einsehen müssen, dass sie nur arme Sozeles sein können ...
(E) Exkurse
Exkurs 1: Viele bisherigen sozialwissenschaftlichen Ergebnisse können im
Museum aufbewahrt werden, sollten aber niemals in die “Tonne gekloppt werden”. Der Nutzen der Sozialwissenschaften besteht, pauschal betrachtet. Es gibt
nämlich eine Tendenz den Sozialwissenschaften die Wissenschaftlichkeit abzuerkennen; dem wird hier also ausdrücklich nicht gefolgt.
Die Sinnhaftigkeit, den Wissensraum für “Gesellschaftstheorie” im Hinblick da- rauf, Gesellschaft als Ganzes (besser) zu verstehen, immer weiter auszudehnen,
ist allenfalls für “Herrscher” (etwa der Rat einer Zentralbank) gegeben. Dennoch ist es vielfach “hilfreich” (nützlich), Teilaspekte gesellschaftlichen Seins mit einer
beliebig viel oder wenig umfassend definierten Gesellschaftslehre zu “erklären”. In beiden Fällen gilt die sozialwissenschaftliche Unbestimmtheit jedoch
unerbittlich: Der Gültigkeit und der reale Nutzen solcher Erklärungsmodelle ist zeitlich begrenzt (Satz 3 und Satz 4).
Fazit: “Exzessive Sozialwissenschaft” sollte überwunden werden.
Exkurs 2 Expansion zu Sokrates’
“Ich weiß, dass ich nichts weiß”, soll Sokrates gesagt haben. Die Aussage greift zu kurz, denn weitergehend gilt auch:
Ich weiß nicht, “was” ich weiß. Oder streng:
Ich weiß noch nicht einmal, “was” ich weiß.
Selbstverständlich kann der Einzelne Mitteilung von seinem Wissen machen. Nur: Wie viel vom Ganzen lässt sich denken/mitteilen/kommunizieren? Diese
Aussagen zu akzeptieren, ist Teil intellektueller Demut und damit Vorausset- zung, zumindest Hilfe zu Toleranz.
Exkurs 3 Vermutung über den Ursprung von Dogmen:
Das in Satz 4
dargelegte Jahrtausende alte Erfahrungswissen ist der tiefere Grund dafür, dass politische Regime (d.h., Herrschafts-, positiv Führungssysteme) zwecks Legitimation so häufig auf Dogmen (nicht
überprüfbare Aussagen) zurückgegriffen haben. Und übrigens deswegen hochgradig totalitär agierten.
(F) Wenige Worte zur Realität der jungen Geschichte
Mit diesen Ausführungen ist es nicht getan. Diese Darlegung erfolgte nicht ihrer selbst wegen, sondern weil es zwingende Konsequenzen auf reale Erscheinun-
gen (von Hajek: “Bildungen”) etwa Herrschaft und Gesellschaftsvertrag
gibt. Die mathematische Denkweise bietet Sprachwerkzeuge, um Analyse und Beschreibung sozialer Phänomene kürzer und verständlicher darzustellen.
Die provozierende Frage lautet: Kann die Praxis der Sozialpolitik in Richtung der Überwindung von Problemlagen d.h., zu problemlosen, stabilen Verhältnissen
konvergieren? Nein. Das Prinzip der sozialwissenschaftlichen Unbestimmtheit spricht dagegen.
Gelegentlich sind diese Ausführungen zu ergänzen durch die Überlegungen von Humberto Maturana, der zwar Soziologen beeinflusste ansonsten aber die
eigentlich erkenntnistheoretisch folgenlose Feststellung machte, dass der Mensch ein autopoietisches System
ist. Niklas Luhmann erkannte auf dieser Basis den selbstreferenziellen Charakter der (menschlichen) Gesellschaft.
Resultat: “Schiffbruch der Systemtheorie” und blieb, wohl gedanklich verführt, “nur Millimeter” vor der Formulierung der “sozialwissenschaftlichen Unbestimmtheit
stehen. So notierte Luhmann am Ende des Vorworts zu “Gesellschaft der Gesellschaft”: “Wenn die Kommunikation einer Gesellschaftstheorie als
Kommunikation gelingt, verändert sie die Beschreibung ihres Gegenstandes und damit den diese Beschreibung aufnehmenden Gegenstand.” Siehe Satz 2 und Satz 3.
Es fehlt nur ”Die bisherige Theorie wird dadurch/deswegen ungültig”.
Die Unbestimmbarkeit der real-aktuellen, insbesondere der jeweils neuen kausalen Wirkzusammenhänge ist die Konstante des sozialen und
sozialwissenschaftlichen Geschehens; es gibt Gründe, die “das Problem” weitergehend als wegen der sozialwissenschaftlichen Unbestimmtheit noch verschärfen. Also zum Abrunden lesen:
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