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Zur Zukunft Europas

Stand: 2. Juni 2005, 21:00

Europa:
Der Weg nach vorne nach der Ablehnung der Verfassung

von Christian Krappitz, Köln

 

Die klare Ablehnung der EU-Verfassung in Frankreich und den Niederlanden hat zwei Dinge deutlich gemacht: Es gibt kein europäisches Demos. Und die meis- ten Menschen in Europa, die meisten Politiker eingeschlossen, wissen noch viel zu wenig über den europäischen Integrationsprozess. Viele Beschwerden richten sich gegen innenpolitische oder nur nationalstaatlich zu regelnde Probleme. Zu viele Menschen glauben, dass die EU hierfür zuständig ist, ja manche glauben gar, die EU habe diese Probleme erst verschuldet.

Die Mehrheit der Menschen tut sich, verständlicherweise, schwer, die unter- schiedlichen Zuständigkeiten, die der europäischen bzw. der nationalstaatlichen Ebene zugeordnet sind, auseinander zu halten. Ebenso nachvollziehbar ist es, dass die Bürger dann die Schuld bei dem unbekannten Europa und nicht bei den nationalstaatlichen Regierungen suchen. Leider folgen viele Politiker populistisch der Tendenz, alles Schlechte auf Europa zu schieben, obwohl sie es besser wissen müssten.

Diese beiden Probleme, das fehlende europäische Demos und das fehlende Wis- sen über die EU, sind eng miteinander verzahnt und müssen deshalb gemeinsam angegangen werden. Die EU ist ein nicht leicht zu verstehendes Gebilde und Brüssel – relativ – weit weg. Es ist deshalb nicht wirklich verwunderlich, dass vie- le Menschen mit Skepsis auf das schauen, was in Brüssel passiert und schein- bar so diffizilen Mechanismen unterliegt. Deshalb müssen wir den Menschen er- klären, worum es bei Europa wirklich geht.

Viele Menschen in Europa beklagen den zunehmenden Souveränitätsverlust und die damit einhergehende Einschränkung der Handlungsfähigkeit. Man muss aber so ehrlich sein sich die Fragen zu stellen: Von wem geht die Souveränität aus? Und wie konnte es passieren, dass plötzlich ein kleiner Teil dieser Souveränität auf die europäische Ebene überging? In unseren liberalen Demokratien geht die Souveränität nun mal vom Volk aus – und daran hat auch die EU nichts geändert, wie die Kraft zeigt, die die Ergebnisse der Referenden auf die Regierungen Eu- ropas ausüben. Jedes einzelne EU-Mitgliedsland hat die Übereinkunft getroffen, dass die Bürger in der Form der repräsentativen Demokratie durch Wahlen, und manchmal Referenden, als Kontrollinstanz den Legislativen und, zumeist indirekt, den Exekutiven die Ausübung der Souveränität verleihen. Dies gilt auch und ins- besondere im Verhältnis zu anderen, befreundeten Staaten. Es waren diese, vom Volk in freier Entscheidung in fairen Wahlen über die Parlamente oder direkt ge- wählten, Regierungen der Nationalstaaten, die, ebenfalls aus freien Stücken und ganz ohne Zwang, den europäischen Integrationsprozess gründeten, ihm beitra- ten und seinen Institutionen die Kompetenzen in Vereinbarungen unter expliziter Zustimmung aller Mitgliedsstaaten verliehen. Die EU und ihre Institutionen kön- nen sich keine Zuständigkeiten selbst geben, das können nur die vom Volk ge- wählten Regierungen.

War all das falsch? Haben die Regierungen unverantwortlich und gegen das Inter- esse ihrer Bürger gehandelt? Mitnichten. Die größte Errungenschaft, die uns der europäische Integrationsprozess beschert hat, ist, dass unser über Jahrhunderte von Kriegen zerrissener Kontinent in eine Periode des kantischen Paradieses eingetreten ist, wo der ewige Friede Realität geworden zu sein scheint. Das mag vor allem jungen Menschen meiner Generation als eine Selbstverständlichkeit er- scheinen. Wir sollten uns aber vor Augen halten, wo unser schöner Kontinent heute womöglich ohne die EU stünde. Dass Europa sich nicht immer noch in aufreibenden Kriegen zerfleischt haben wir vor allem dem europäischen Integra- tionsprozess zu verdanken. Über die Schaffung eines beispiellosen dauerhaften Friedens hinaus hat uns der europäische Integrationsprozess einen nie gekann- ten Wohlstand gebracht. Vom Abbau kleinstaaterischer Handelsbarrieren und der Schaffung eines gemeinsamen europäischen Marktes haben alle Menschen in der EU profitiert und profitieren noch heute davon – auch die nicht so wohlha- benden. Wer anderes behauptet, ignoriert die Realität. Es ist wahr, dass Europa derzeit eine schwere wirtschaftliche Krise durchläuft. Aber jeder nationale Politi- ker, der dies der EU anlastet, sollte sich an seine eigene Nase fassen, die vor lauter dreisten Lügen immer länger wird. Denn die EU hat eben nicht die Kompe- tenz, die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik aller Mitgliedsstaaten zu regeln. Diese Zuständigkeit liegt immer noch in der Hand jener Politiker, die zu Hause auf die EU schimpfen, selbst aber zu häufig untätig sind – sei es aus purer Igno- ranz oder aus Angst, bei unbequemen Entscheidungen die nächste Wahl zu ver- lieren. Es ist so, Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik wird nach wie vor in den Nationalstaaten gemacht. Die EU setzt nur den Rahmen für einen fairen und funktionierenden Wettbewerb und eine funktionierende Wirtschaft – einen guten Rahmen, der mit den Herausforderungen der Globalisierung umzugehen weiß. Der europäische Integrationsprozess ist gelebte Globalisierung auf begrenztem Raum.

Die Jahrzehnte gelebter europäischer Integration haben uns gezeigt, dass die Nationalstaaten ihren Bürgern viel bessere Rahmenbedingungen schaffen kön- nen, wenn sie gemeinsam, unter Vergemeinschaftlichung eines Teils der Souve- ränität, Probleme angehen, die sie alleine nicht imstande wären zu lösen. Es steht außer Frage, dass immer noch viele Dinge bleiben, die Europa gemäß dem Subsidiaritätsprinzip nicht besser machen kann. Doch wir müssen uns alle die Frage stellen, ob solche Aufgaben überhaupt besser von einer staatlichen Instanz erledigt werden können und nicht von den Bürgern in Eigenverantwortung. Letztlich weiß der Mensch selber, was am besten für ihn ist.

Was Europa, seine Nationalstaaten, und vor allem seine Menschen jetzt brau- chen, ist neben einem neuen Anlauf für eine europäische Verfassung eine Aufklä- rungskampagne, die den Menschen bewusst macht, wie gut der europäische In- tegrationsprozess für sie in Wirklichkeit ist – ohne die tatsächlichen Schwächen unter den Teppich zu kehren. Vielleicht kommen wir so dem großen ziel des eu- ropäischen Demos und der Abkehr von egoistischer Kleinstaaterei zum Wohle aller Europäer ein wenig näher.

Die Vorzüge, die uns der europäische Integrationsprozess bescheren kann, sind noch lange nicht am Ende. Ich sage bewusst kann, denn, dass uns die Integra- tion per se größeren Wohlstand und Frieden beschert, ist keine Selbstverständ- lichkeit. Dieser Prozess erfordert eine Menge an Arbeit. Es wird Momente geben, an denen wir verschieden richtungsweisende Entscheidungen gehen können, von denen manche kurzsichtig sind und das gemeinsame Ziel Freiheit, Wohlstand, Frieden und Sicherheit nur untergraben.

Der europäische Integrationsprozess kann noch viel schaffen, zum Beispiel in der Schaffung eines Raumes der Freiheit, Sicherheit und Gerechtigkeit in der Innen- und Justizpolitik oder in der europäischen Außenpolitik. Gemeinsam können wir viele Probleme lösen, bei denen ein einzelner Staat schlichtweg überfordert wäre. Gemeinsam kann Europa Gebrauch von seinem riesigen Potenzial machen.

Es lohnt sich.

 

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