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Stand: 22. Juni 2005, 10:00 / 25.05.05 / 16.05.05 / 01.05.05 / 20.03.05 / 06.03.04 / 04.11.03 /
08.09.03

 

Chile: Am 11. September 1973
wurde die Regierung von Präsident Salvador Allende gestürzt

Ohne Zweifel: Technisch betrachtet, fand am 11. September 1973 in Chile ein Staatsstreich statt. Im ganzen Land gab es, umfassend sorgfältig geplant, ab dem frühem Morgen Schießereien; um 14:00 Uhr war alles entschieden.

Schießereien?

Zwischen Militär einerseits und Kampfgruppen der Volksfrontparteien, so wie einer Schutztruppe (GAP) des Präsidenten andererseits; außer Streitkräften und Polizei war keine bewaffnete Formation von der Verfassung vorgesehen, also erlaubt ...

Der 11. September 1973, ohne Zweifel ein Bruch für eine Gesellschaft, die sich seit 1831 (40 Jahre vor der ersten Reichsverfassung) nach dem Prinzip der Demokratie politisch organisiert hatte. Tragisch, denn es gab Tote, Flüchtlinge, Exilanten-Elend, Zerstörungen.

Warum? Das ist die Frage 30 Jahre danach.

Um auch dies in der Einleitung abzuarbeiten: Nicht die CIA, nicht die “Yanquis”, nicht die USA haben den Staatsstreich eingestilt oder veranlasst; vermutlich ha- ben die USA das Geschehen mit Wohlwollen verfolgt oder zu Kenntnis genom- men; aber alles Andere sind Märchen. Wenn die CIA über die Transporteure den Umsturz mit lediglich 200.000 U$D katalysiert haben sollte, so wäre eine ent- sprechend ausschlaggebende Wirkung dieser Maßnahme allenfalls ein Zeichen dafür, wie einfach das Regime, auf das so viele (auch Europäer) Hoffnungen gesetzt hatten, zu kippen war. Die Regierung Allende war Mitte 1973, nach demokratischen Maßstäben, seit vielen Monaten am Ende ihrer Möglichkeiten.

(A) Kurze Vorgeschichte

Es reagierte das junge Chile nach 13jährigem Straucheln ab 1831 aufgrund wirt- schaftlicher Probleme, die in der Kolonialzeit (bis 1818) ihren Ursprung hatten mit einer soliden Konfiguration des Staates nach amerikanisch/französischem Mus- ter. Es gibt Namen, die noch heute eine guten Klang haben: Diego Portales et- wa. Die Verfassung von 1833 galt bis 1925; die Verfassung von 1925 in ihren We- senszügen noch heute; das alles ist Ausdruck von chilenischem Bewusstsein,
u.a. von bemerkenswerter Kontinuität. Chile ging es wirtschaftlich recht gut bis ca. 1920 (Bergbau und Landwirtschaft). Danach setzte ein Niedergang ein, der schon ab 1930 und stärker ab 1950 zu sozialer Unruhe führte. Jahrelang horrende Inflation und gleichzeitig - wie selbstverständlich von
Sozialisten marxistischer Prägung nach Kräften verstärkt - zahllose lang andauernde Streiks. Chile, rui- niert, geriet voll zwischen die Mühlsteine des Kalten Krieges (s. dazu erster Teil von Mythos 68). Übrigens: Die 68ger Bewegung fand in Chile fast zeitgleich, eher etwas früher als in Europa statt; Das relative Gewicht von ortodoxen Kom- munisten und der “Ultralinken” etwa wie in Italien oder Frankreich. Jedenfalls hatte Chile 1970, neben intakter Demokratie, ein relativ gutes Bildungswesen (primär, sekundär, tertiär) und einen starken Mittelstand. Außenhandel, gut 80% Rohstoffe des Bergbaues. Die Eliten 1970? Katastrophe, seit vielen Jahren. Kor- ruption gab es auch. Aber weniger als Argentinien; also etwa deutsches Niveau 1948ff (was wir selber erst im Jahr 2000 richtig bemerkt haben).

Salvador Allende kandidierte 1952, 1958, 1964 und mit 36 % der Stimmen er- folgreich 1970, so dass letztlich das Parlament, am 24. Oktober 1970 eben zu seinen Gunsten entschied und Allende sein Amt am 4. November 1970 über- nahm. Allende wurde in einwandfrei demokratischem Wahlverfahren Präsident und Regierungschef. Salvador Allende war darüber hinaus unter allen Kandidaten der Wahl von 1970 derjenige mit der besten persönlichen Kondition und der stärksten politischen Gestaltungskraft. Salvador Allende war seit vielen Jahren Mitglied des Senats, also ein erfahrener Politiker und glänzender Redner.

Aber.

Salvador Allende bekannte sich lange vor 1970 zum Marxismus, so wie fast alle 7 Parteien seiner Volksfront, genannt “Unidad Popular”. Das Wahlprogramm “hat- te es in sich”. Und Allende, der seine Kraft und seine Erfahrung nicht mäßigend einsetzte, wurde im Grunde genommen der Präsident, der unter demokratischen und rechtsstaatlichen Verhältnissen Sozialismus in Reinkultur gestalten, einfüh- ren, bewirken, ... , ja was, ... sagen wir “machen” wollte.

(B) Einige Ereignisse nach der Wahl vom 4. September 1970

Am 5. September 1970, also am Tag nach der Wahl, die der Unidad Popular
36% der Stimmen erbrachte, so wird berichtet, gab es etwa auf der “Carretera Panamericana”, der ausgebauten Nord-Süd-Straßenverbindung, ansonsten leb- haft befahren, kaum Verkehr. Das Land war gelähmt, erstarrt ... Böse Vorahnung zu dem was kommen musste? Ja und Nein. Zum Nein: Angesichts der 36% Stimmen stand der zweite Wahlgang im Parlament an; es hätte auch der zweite Sieger das Rennen machen können; der Partido Demócrata Cristiano entschied sich, solches war Tradition, für den Gewinner der Direktwahl vom 4. September 1970. Und: Kein Zwang bestand dazu, die Gesellschaft binnen weniger Jahre sozialistisch umzugestalten. Aber das Wahlprogramm entwickelte sich in den Händen von Eiferern zum Selbstläufer mit unglaublicher Eigendynamik. Der erfah- rene Allende konnte oder wollte nicht “bremsen”, obwohl er in vielerlei Beziehung das Zeug zum wirklich großen Präsidenten hatte. Selbstverständlich gab es zu Allende Opposition. Parlamentarisch und außerparlamentarisch. Und was eine zünftige Blockadepolitik ist (etwa Steuergesetze 1997/98 per Bundesrat), wissen wir seit Lafontaine/Schröder sogar in Deutschland ... Jedenfalls hatte Allende und seine Mannschaft durchaus Schwierigkeiten bei ihrem Vorhaben eine sozialisti- sche Gesellschaft zu gestalten; die parlamentarische Mehrheit hatte die Unidad Popular im März 1973 nämlich nicht erhalten können. Statt den Rahmen der Verfassung zu respektieren, kam ein Verfassungsbruch nach dem anderen. Und die wirtschaftliche Lage geriet aus den Fugen. Unrast und Aufruhr, in Chile, nahmen nach und nach dramatisch zu.

Zum Verhältnis zwischen der Allende-Regierung und dem Militär:

Mit einer gewissen Systematik hatte Allende (früher) führende Generäle in den Ruhestand befördert. Seine Methode wurde mit dem Begriff “tiraje en la chimi- nea” (Zug im Schornstein) beschrieben. Mehrfach wurde etwa der drittälteste General zum Oberbefehlshaber ernannt; die Folge: Die beiden Älteren hatten
den Dienst zu quittieren. Der Präsidenten traf eine ihm zustehende, Personalent- scheidung und erledigte in seinem Sinne, völlig lautlos, weitere. Wahrscheinlich vermutete Allende dadurch Jüngere, “progressive” Kräfte alsbald in den Füh- rungsetagen der Streitkräfte zu installieren. Ob es soweit gekommen wäre, ist heute nicht entscheidbar. Jedenfalls ist aufgrund von Allendes Personalpolitik Pinochet relativ jung General und wenige Wochen vor dem 11. September 1973 sogar Chef der Streitkräfte geworden ...

Unter dem Motto “Nationale Sicherheit” hatte Allende viele Monate vor dem Putsch vom 11. September 1973 hohe Offiziere als Minister in sein Kabinett berufen; das einzige Anzeichen von fehlender Loyalität könnte gewesen sein, dass diese ab und zu ihre Ämter niederlegten, manchmal pensioniert wurden, manchmal in den aktiven Dienst zurückkehrten.

(C) Die Erklärung der Abgeordneten-Kammer vom 22. August 1973

22. August 1973. An diesem Tag verabschiedete die Abgeordneten-Kammer des Parlamentes mit 81 zu 47 Stimmen eine umfangreiche Erklärung  in der fest- gestellt wird, dass “die Verfassungs- und Rechtsordnung aufs Schwerste zerrüt- tet ist (“... grave quebrantamiento del orden constitucional y legal ...”); der Parti- do Demócrata Cristiano hatte seine Einstellung zu Allende revidiert; Abgeordnete des PDC hatten an der Formulierung der Erklärung mitgearbeitet und entspre- chend auch abgestimmt. Der Regierung Allende wurde mit schwersten Vorwürfen konfrontiert; sie habe der Erklärung zufolge u.a.:

  1. Sich seit ihrem Amtsantritt bemüht, ein totalitäres System zu installieren
  2. Nicht nur isoliert die Verfassung gebrochen, sondern systematisch die Grundrechte missachtet und sich über die Kompetenzen der anderen Staatsgewalten hinweggesetzt, bzw. diese ignoriert
  3. Widerrechtlich die wichtigste Funktion des Parlamentes, nämlich Gesetze zu erlassen, an sich gerissen
  4. Permanent die Kontrollfunktion des Parlamentes hintergangen und real das Recht des Parlamentes, Minister ihres Amtes zu entheben ausgehebelt
  5. Eine vom Parlament ordnungsgemäß verabschiedete Verfassungsände- rung nicht verkündet
  6. Eine infame Kampagne von Beleidigungen und Verleumdungen gegen das Oberste Gericht (die Dritte Gewalt im Staat) angeführt, so wie persönliche Angriffe gegen Richter toleriert, mit dem Ziel Autorität und Unabhängigkeit der Justiz auszuhöhlen
  7. Die Justiz durch häufige und unangemessene Begnadigungen ihrer Par- teigänger so wie die absichtliche Unterlassung gerichtlicher Haftbefehle unterlaufen
  8. Gegen die Gewaltenteilung durch Unterlassen des Vollzuges von Ge- richtsbeschlüssen verstoßen
  9. Systematisch die Beschlüsse des Rechnungshofes (Contraloría General de la República), die illegale Maßnahmen der Regierung anzeigten, unter- laufen
  10. Gegen den Gleichheitsgrundsatz verstoßen, in dem gewogenen Gruppen Vorteile gewährt wurden, da er Präsident nicht der aller Chilenen sei.
  11. Sich durch wirtschaftlichen Druck gegen Freiheit der Meinungsäußerung vergriffen (Verb “atentar” Wortstamm Attentat)
  12. Gegen die Selbstverwaltung der Universitäten (autonomía universitaria) verstoßen (Behinderung und Ausschalten der hochschulbetriebenen Fernsehanstalten)
  13. Das Versammlungsrecht der Bürger beeinträchtigt, seine Ausübung ver- hindert und manchmal mit Gewalt unterdrückt, während ihre Parteigänger sich nach Belieben versammeln konnten und hierbei die Bevölkerung einschüchterten
  14. Gegen die Freiheit der Ausbildung verstoßen (“atentar”)
  15. Die rechtswidrige Besetzung von landwirtschaftlichen Betrieben, Grund- stücken und Immobilien zugelassen, also systematisch das Eigentums- recht verletzt und dadurch schwere wirtschaftliche Verwerfungen hervor- gerufen
  16. Häufig rechtswidrige Verhaftungen aus politischen Gründen veranlasst und zugelassen, dass Gefangene in vielen Fällen geschändet und gefoltert wurden; hiervon waren auch Journalisten betroffen
  17. Den Arbeitern das Organisationsrecht aberkannt und diese rechtswidriger Repression ausgesetzt
  18. Verabredungen mit Arbeitern gebrochen, die das Ziel hatten, Gerechtigkeit herzustellen und ihrer realen Partizipation gemäß Verfassungsänderung entgegengewirkt
  19. Das Ende der Freiheit der Gewerkschaften durch politische Parallelorga- nisation eingeleitet
  20. Die Reisefreiheit (Ausland) mit gesetzlich nicht vorgesehen Bedingungen eingeschränkt
  21. Unter der Bezeichnung “Volksmacht” (poder popular) Bildung und Unter- halt aufrührerischer Organisationen mit Machtbefugnissen, die ihnen nach Verfassung und Gesetz nicht zustanden ermuntert, gefördert und ge- schützt.
  22. Besonders schwerwiegend, unter dem Schutz der Regierung bewaffnete Gruppen gebildet und entwickelt, die geeignet waren, eine bewaffnete Auseinandersetzung mit den Streitkräften zu führen und - ebenfalls gra- vierend - der Polizei das Vorgehen gehen solche Gruppen untersagt
  23. Unter dem Vorwand der “Nationalen Sicherheit” Offiziere der Streitkräfte mit Ämtern in der Regierung betraut und ihnen den Auftrag erteilt “die politische und wirtschaftliche Ordnung” durchzusetzen, was aber nur
    unter der Bedingung der Wiederherstellung von Rechtsstaatlichkeit denk- bar sein könne.
  24. Die Streitkräfte, aller Chilenen, parteipolitisch instrumentalisiert.

Die Abgeordneten-Kammer beschloss, wie gesagt, “dem Herrn Präsidenten, den Herren Ministern, den Mitgliedern der Streitkräfte und der Polizei” “nach den Be- stimmungen von Art. 39 der Staatsverfassung vorzutragen”, dass “die Verfas- sungs- und Rechtsordnung aufs Schwerste zerrüttet ist

So weit eine Zusammenfassung der wichtigen Punkte der ausführlichen, mit vie- len Details versehenen Erklärung der Abgeordneten-Kammer.

Beachtlich, das Sündenregister der Regierung Allende.

Einige der Anschuldigungen klingen in deutschen Ohren 2003 übertrieben, ande- re wirken in dieser kursorischen Übersetzung eher harmlos. Zu verstehen ist der Gesamtzusammenhang. Ergänzend seien die großen Schlagzeilen der Inter- nationalen Wochenausgabe (8 Seiten à 8 Spalten FAZ-Format, nur 2 Anzeigen insgesamt etwas mehr als 1/4 Seite) des schon immer konservativen EL MER- CURIO vom 20.-26. August 1973 notiert: “Die Regierung hat die Verfassung aufs das Schwerste gebrochen”, “General Prats (Verteidigungsminister) zurückge- treten”, “Blutiger marxistischer Schusswechsel “, “Immunität von Altamirano aufgehoben”, “Senatoren zeigen schwere Unregelmäßigen bei der Zentralbank an”, “Admiral Montero hat Amt des Chefs der Seestreitkräfte erneut übernom- men”, “Außenministerium kommentiert eine mögliche Invasion aus dem Ausland nicht”, “Allendes Auslandsreise wird sich auf Algerien beschränken”, “Ausländi- sche Banknoten von Beamten der Zentralbank in das Ausland verbracht”, “Indus- trieproduktion um 7,8% seit Jahresanfang gefallen”, “Terrorismus-Welle ver- schärft” (30 einzeln beschriebene Vorfälle/Attentate, davon 20 in der Hauptstadt), “Immunität des Gouverneurs von Santiago (berichtet direkt an den Innenminister) aufgehoben”, “Unidad Popular verantwortet chilenische Industrie-Katastrophe”, “Kardinal-Erzbischof hat Ehefrauen der Transporteure empfangen”, “Chile hat im ersten Halbjahr dieses Jahres 8414 PKW hergestellt”, “General Humberto Magliochetti neuer Minister für Infrastruktur”, “Neutrale Staaten analysieren in Santiago ausländische Investitionen in der Rohstoffindustrie”, “Elektrizitäts-Aus- fall bei den Radiostationen erfolgte wegen Reparaturarbeiten”, “Radio der Natio- nalen Landwirtschaftskammer geschlossen”.

(D) Bewertung des Umsturzes vom 11. September 1973

Kann angesichts der o.a. massiven Verstöße gegen die Verfassungsordnung der Staatsstreich vom 11. September 1973 begrüßt oder gutgeheißen werden?

Nein.

Auch nicht vor dem Hintergrund der Überlegungen etwa zum Tyrannenmord, der in D’land angesichts der NSdAP-Desasters (Holocaust, Krieg) entwickelt wurde? Besser aber wäre ohne Zweifel gewesen, wenn Salvador Allende und seine Mannschaft nicht so krass, auch schamlos Verfassungsbruch begangen hätten. Es stimmt, wie bereits geschrieben: Es gab in der Zeit vor 1970 in Chile lang- jährig erhebliches Eliteversagen; deswegen wurde Allende doch gewählt. Als Präsident hat Allende und seine Regierungsmannschaft allerdings die Zuspitzung der Lage bewusst, zumindest zugelassen, folglich zu verantworten. So wie sich Menschen immer wieder “Freiheiten herausnehmen”, haben sich Streitkräfte und Polizei, durch die o.a., in Stichworten wiedergegebene Erklärung, der Abgeord- neten-Kammer ohne Zweifel implizit aufgefordert, die “Freiheit des Staatsstrei- ches herausgenommen”; sie handelten im übrigen im Sinne der ganz überwälti- genden Mehrheit der Bürger Chiles, die erleichtert waren, dass die Regierung Allende untergegangen war. Als Hintergrund ist nicht aus den Augen zu verlieren, dass Sozialisten aller Art seit vielen Jahrzehnten für Revolutionen, eben gewalt- same Umstürze (im Dienste von sozialer Gerechtigkeit und letztendlich tota- litärem Sozialismus), wortwörtlich gepredigt hatten. Auch wenn die Anzahl der Toten als Folge des Staatsstreiches mit “nur” 3200 beziffert wird, während bei erfolgreichen sozialistischen Revolutionen die Anzahl der Toten in die Zehntau- sende, Hunderttausende, sogar Millionen gegangen war, bleibt der Sturz von Präsident Allende, besonders in dem durch und durch europäisch geprägten Land mit so langer, makelloser demokratischer Tradition ein zumindest tragi- sches Ereignis. Wie sollte dies angesichts der damals bereits erwiesenen ge- schichtlichen Erfahrung vermieden werden? Der Umsturz vom 11. September 1973 kann verurteilt werden. Wer dies tut, sollte sicher sein, dass andererseits ein sozialistischer Umsturz, ebenfalls mit vielen Opfern, von Allende und Unidad Popular ganz bestimmt nicht vorgesehen war. Genau dieser Glaube aber war in einer Zeit als der Zusammenbruch etwa der Sowjetunion noch in den Sternen stand, nicht vorhanden.

Angesichts der Erklärung der chilenischen Abgeordneten-Kammer vom 22. Au- gust 1973 ist schwer zu ergründen, warum Salvador Allende hierzulande heroi- siert wird. Dafür gibt es im Grunde genommen keinen Anlass. Allende hat auf der ganzen Linie versagt, was große Kreise der “Linken” in Chile heute ohne Wenn und Aber einsehen. Eine Erklärung für die Heroisierung ist vielleicht unser kol- lektiv schlechtes Gewissen angesichts des hier herrschenden Wohlstandes. Das gibt Anlass, sich kompensatorisch “progressiv” zu geben. Aber weit weg, in fremden Ländern; um nicht selbst die Konsequenzen solch progressiver Politik ausbaden zu müssen ... ? In den Jahren nach 1960 gab es in den USA schon ähnliche Auffassungen.

Fazit: Der demokratisch gewählte Präsident hat die Verfassung des Landes aufs Schwerste gebrochen (solche Erfahrung haben wir auch in Deutschland) und ... wurde (allerdings anders als in Deutschland) mit dieser einzigen Begründung blutig entmachtet. Statt zum Thema Chile und der Pinochet-Diktatur am Jah- restag zusätzlich einzuheizen, sollte Trauer um die Toten, darunter so vieler begabter Leute, die Stimmung bestimmen. Denn eine Zwangsläufigkeit hatten diese Ereignisse mitnichten.

Nach dem 11. September 1973 sind von Militärs Verbrechen verübt worden. Der wichtigste, auch in Deutschland bekannte Fall, ist der der sogenannten Todes- karawane: Im Oktober/November 1973 hat eine Gruppe von Mitgliedern des Hee- res Gefangene, also wehrlose Menschen, in ganz Nord-Chile erschossen. Zu den Verbrechen zählt auch der Mord von Orlando Letelier (Außen- und Verteidigungs- minister der Regierung Allende) in Washington. Gerichtsurteile zu solchen Un- taten sind eine Selbstverständlichkeit. Ebenso Fälle von Folter über die Renate Schmidt (SPD) am 5. März 2004, vermutlich auch früher schon, berichtete.

Von derartigen (Monate und Jahre später begangenen) Verbrechen abgesehen, war der Sturz von Salvador Allende, eine stinknormale Revolution, wie so viele als glänzend bezeichnete der Geschichte. Völlig fehl ist es, den Umsturz etwa mit der später erfolgreichen Wirtschaftspolitik oder der gelungenen Re- form der Rentenversicherung zu rechtfertigen. Einzig die schweren, “nachhaltigen” Verfassungsbrüche der Regierung Allende dürfen als Rechtfertigung erwogen werden.

(E) Was lehrt die Erfahrung in Chile?

Reformen, auch gesellschaftlicher Wandel erfordern Geduld, Toleranz und per- fektes Demokratie-Verständnis. Keines Menschen Meinung kann oder darf etwa durch Knopfdruck verändert werden. Es sind die Eiferer und Fanatiker - von letz- teren hat das vorige 20. Jahrhundert sehr viele gesehen - die Probleme auslösen, auch Raff- oder Habsüchtigen zu widerlichem Verhalten Anlass bieten. Leider ist das Problem der Fanatiker, trotz dem krachenden Zusammenbruch des Ost- blocks, bis heute nicht überwunden. Fanatismus scheint sogar wieder zuzuneh- men. Sorge ist daher angezeigt. Neben jenen “Linken”, die ihre Fehler einsehen, gibt es, weit verbreitet, noch viele “Linke”, die meinen, ein gebrochenes Verhält- nis zur Landesgeschichte haben zu müssen. Aufgesetztes Getue, Uneinsichtig- keit, Unbelehrbarkeit? Wer weiß das genau ... Auf jeden Fall so oder so oder so falsches Verhalten. Vermutlich ist das politische aber auch menschliche Trauma des 11. September 1973 noch nicht überwunden; die Nostalgie einer virulenten sozialistischen Bewegung tut ein Übriges.

In D’land wird derweil überwiegend zum “11. September 1973” eingeheizt; zumin- dest befremdlich die PM der SPD zum Thema. Es gibt auch Schnodderi- ges, wie etwa beim SPIEGEL durchdekliniert. Beides ist nicht hilfreich. Hilf- reich wäre: “Mensch Leute, messt die Höhe Eurer Stirn; seht ein, dass Ge- schichte (leider) auch Dampfwalze ist ... Sowjetunion, Chile, Volksrepublik
China, Deutschland, Cuba, Brasilien ... Viele Schuldige wurden “erwischt” ... aber eben nie alle. Politische Vernunft wäre bei solcher Einsicht nicht mehr aufzuhal- ten. Und dann müssten deutsche Sozialisten 2003 bereit sein, auf die innenpoli- tisch wirksame Instrumentalisierung des Staatsstreiches vom 11. September 1973 in Chile zu verzichten, statt sich per Betroffenheitsadressen (echt gefühl- ter?) zu autoheroisieren.

Na, “Freunde”?

Zum Schluss, durchaus als Kampfansage: Wenn “Das LT ” der Meinung wäre: “Chilenische Asylsuchende hätten wir in Deutschland nach dem 11. September 1973 abweisen sollen”, dann wäre das hier auf Punkt und Komma zu lesen.

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Wachsamkeit (“wehret den Anfängen”) und vor allem eine durchgängig liberale Geisteshaltung sind das beste Mittel, Katastrophen wie die chilenische von 1973 zu vermeiden.

Und selbstverständlich makelloses Verhalten der Eliten.

 

Länder dieser Welt
Menschenrechtsverletzungen
Colonia Dignidad
Allende faschistoid?

 sind nie zulässig

 Die “bekloppten Deutschen” wurden bald nach 1960 in Chile aktiv

 mit konstruierten Legenden gegen Sozialisten agieren trägt nicht.

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