Stand: 10. Juli 2001, 8:00
Wie liberal war die Wirtschaftspolitik von Prof. Dr. Ludwig Erhard?
Ludwig Erhard hat richtige Entscheidungen getroffen, falsche verhindert, hatte Charisma und Autorität. Erhard ist eine Gestalt in der
Geschichte der Mitte des 20. Jahrhunderts. Hätten wir ohne ihn beispielsweise ab 1980, also nach seinem Tod, die Chance gehabt zu begreifen, warum mit dem 20., eine sozialistische Ära der
Dämmerung zum Opfer fällt?
Macht das Lob hellhörig ? Das ist die Absicht.
Verdächtig sind nicht unsere 3.8000.000 Arbeitslosen, denn Ludwig Erhard hat dies nicht haben wollen. Nein, der Verdacht beginnt mit der
Frage, ob er auch im innersten, verborgensten seiner Seele ein liberaler Ökonom war. Schon nach kurzer Suche im Text von „Wohlstand für
alle“ bestätigt sich die Befürchtung. So schreibt er beispielsweise im vorletzten Satz des Kapitels „Verführt Wohlstand zu Materialismus?“, dass „es gilt Millionen von Menschen, die ... mit Sorgen des Alltags belastet sind, endlich von diesen Kümmernissen
zu befreien“.
Wer handelt ? Die Befreiten oder die Befreier? Von den Sorgen des Alltags?
Des Alltags? Wie bitte? Seine Grundsätze forderten, dies, weiter als nachlesbar, konsequent zu Ende zu denken.
Vieles spricht gegen eine Verdächtigung. Immerhin denunziert Erhard: „Versor- gungsstaat - der moderne Wahn“. Denn „am Ende steht der
soziale Untertan“. Erhard kannte mit allen ökonomischen Konsequenzen die Neigung zu Kartellie- rung, hatte prononcierte Abneigung gegen Interessenvertreter, wollte Bilateralis- mus
überwinden, statt dessen großräumig einheitliche Spielregeln setzen (letzte- res ist fallweise liberales Anliegen). Über die Funktion von Wettbewerb aus Sicht von Ludwig Erhard muss nichts
geschrieben werden. Erhard ist über Zweifel erha- ben. Liberalen
schlägt bei dem Gedanken, nach seinen Prinzipien Ordnungspo- litik zu erleben, das Herz höher.
Warum übernimmt Erhard dennoch die Zuständigkeit für die Befreiung? „Am Erfolg müssen alle teilhaben“. Erhard verteilt also, um
„der Masse unseres Vol- kes ... einen würdigen Lebensstandard zu sichern und fortlaufend zu bessern“. Pro Leviathan oder nur Wahlkämpfer? Wenn schon der umsorgende Staat seine Bürger nicht
befreit (Habermann, FAZ 24.8.96, S.15), so erst recht nicht ein in seinem Rahmen agierender Amtsträger, sei er noch so liberal. Gehen die Vertei- ler ans Werk, ist Freiheit gefährdet.
Wohlstand ist überdies ein Fertigprodukt. Mehr noch: ein bereits fertig-konsumiertes. Die Befreiten sollen fleißig sein. Sonst nichts? Wer bewertet Fleiß? ... Auf Märkten bilden sich Preise
... Zugegeben in den frühen 50er Jahren durfte das nicht gesagt, besser, nicht einmal gedacht werden. Statt dessen holte Erhard die maßgeblichen Leute in den Beichtstuhl und richtete an die
Masse der Bürger wirkungslose Maßhalte- appelle. Dazu muss der Handelnde kein liberaler Ökonom sein. Ist sein staatsbezogener Paternalismus der Grund für Argumentationsschwäche und fehlende
Durchsetzungskraft?
In den geschlossenen Nähkästchen der Zeitzeugen finden sich sicher Einzelheiten.
Heute begreifen wir Liberalismus als das Programm, demzufolge Selbstbestim- mung für jedermann Bestandteil des Gesellschaftsvertrages ist. Die Abwan- dlung des Buchtitels von Ludwig Erhard lautet schmucklos, ohne Adjektive
Selbsthilfe für alle
Diesen Imperativ denken Liberale heute zu Ende. Sozialpolitik abgeleitet aus dem Prinzip Freiheit: Marktwirtschaft.
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