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Stand: 20. November 2005, 23:00

Es gibt im Neuen Testament mehrere Fundstellen, die als Ethik der Gesellschaft zusammengefasst werden könnten und zum Kern liberalen Denken und Verhalten gehören. Hierzu gehört den Fachleuten zufolge die Bergpredigt (gelegentlich mehr dazu) und:

Der „gute Samariter“ – ein echter Liberaler

Rainer Erkens, Liberales Institut der Friedrich-Naumann-Stiftung, 12. Juli 2005

        Dass in unserer modernen Welt angeblich wieder Werte gefördert werden müssen, ist für Politiker fast aller Couleur unbestritten. Die „Berliner Zeitung“ hat dazu eine Reihe gestartet, die prominenten Bewohnern der Stadt die Möglichkeit bereitet, Werte dazustellen, die ihnen besonders wichtig sind. Im Juli 2005 hatte Wolfgang Thierse, Bundestagspräsident und Sozialdemokrat die Gelegenheit, auf den Begriff der Nächstenliebe einzugehen.

        Als Beispiel für Nächstenliebe zitiert Thierse das Gleichnis vom guten Samariter aus dem Neuen Testament der Bibel (Lukas 10,29-37), von jeher ein Herzstück sozialdemokratischer Lyrik. Der gute Samariter – so Thierse - sei das Gegenbild zur „neoliberalen Ideologie“, die stets für Leistung eine Gegenleistung verlange und Menschen nur danach beurteilten, „wie schön, reich, erfolgreich und wettbewerbsfähig“ sie seien. Im Übrigen sei Nächstenliebe nur ein anderes Wort für Solidarität und Solidarität sei die Grundlage des modernen Sozialstaats. Der Sozialstaat sei die gesetzlich gesicherte Form der Solidarität, Nächstenliebe somit die Grundlage des modernen Sozialstaats.

        Soweit Wolfgang Thierse. Wer sich aber auch als Liberaler nicht scheut, einmal in der Bibel das viel zitierte und viel missbrauchte Gleichnis vom guten Samariter nachzulesen, der wird zu anderen Ergebnissen als der derzeitige Bundestagspräsident gelangen.

Rasch wird nämlich deutlich, dass der gute Samariter das Beispiel eines echten Liberalen ist.

Zunächst einmal fragt der Samariter nicht danach, wem er hilft. Er sieht einen Menschen am Wegrand, der ausgeplündert und verletzt worden. Statt ihn wie andere Passanten liegen zu lassen, nimmt er sich seiner an, indem er ihn in seine eigene Herberge mitnimmt und dem Wirt nach seiner Abreise Geld zurücklässt, damit er sich weiterhin um den Verletzten kümmert. Der Samariter wartet nicht darauf, dass irgendwelche Sozialbürokratien das Opfer eines Raubüberfalls zum Fall erklären und ordentlich erfassen. Er handelt selbst spontan aus Mitgefühl. Und er handelt freiwillig, also aus eigenem Antrieb. Ihn interessiert nicht, ob der Verletzte wie er selbst ein Jude ist oder nicht, er fragt nicht, ob er der Arbeiterklasse angehört oder unter die „Millionärssteuer“ fällt und damit entweder Mitleid oder Strafe verdient. Er fragt nicht danach, ob das Opfer möglicherweise selbst ein Täter war oder an seinen Verletzungen selbst schuld ist. Für den Samariter zählt nur eines: er hat einen einzelnen Menschen, ein Individuum, vor sich, das leidet. Das genügt ihm um zu handeln.

Mehr noch: der Samariter ruft nicht nach der Wohlfahrtsindustrie. Er füllt keine Formulare aus, streitet sich nicht um Rezeptgebühren und Punktesysteme, studiert keine Leistungskataloge und richtet sich nicht nach Sprechstundenzeiten. Er überlässt den Hilfebedürftigen nicht irgendeiner anonymen Institution aus dem Gesundheitssystem. Er lädt den Verletzten stattdessen auf seinen eigenen Esel, bringt ihn zu seiner eigenen Herberge und zahlt seine Behandlung mit seinem eigenen Geld. Nichts könnte dem modernen Sozialstaat, wie wir ihn in Deutschland und anderswo täglich erleben, ferner sein. Im Gleichnis vom guten Samariter wird die individuelle Verantwortung in den Vordergrund gestellt, nicht staatliches Handeln, die vermeintliche Überlegenheit der Gesellschaft oder die Unverzichtbarkeit von Gemeinschaften.

Und noch eins: der Samariter weiß als guter Liberaler, worauf es ankommt. Er hilft spontan und ist sogar bereit, dem Wirt der Herberge, in dem er den Verletzten zurücklässt, noch nachträglich Geld zu geben, wenn die Behandlungskosten höher ausfallen als erwartet. Aber damit ist das Ende seiner Fürsorge erreicht. Der Samariter teilt weder sein Einkommen mit dem Opfer (ohne dieses Einkommen könnte er dessen Behandlung übrigens gar nicht bezahlen) noch ist er gewillt, dem Patienten, wenn er denn irgendwann genesen ist, auf immer und ewig zu unterstützen. Seine Hilfe orientiert sich an einer konkreten Notlage, und sie hört mit deren Ende auf. An einen Dauerpatienten und an eine Daueralimentierung des Opfers, wie sie im modernen Sozialstaat nicht unüblich ist, hat der Samariter nicht gedacht.

Hilfe zur Selbsthilfe lautet dieser liberale Grundsatz. Dabei wird der zweite Aspekt, die Selbsthilfe, nur zu gern von Sozialdemokraten aller Glaubensrichtungen unterschlagen. Sie konzentrieren sich lieber auf die Hilfe, und die soll immer von den anderen erbracht und finanziert werden. Nächstenliebe ist eine noble Sache. Aber sie setzt voraus, dass derjenige, der von der Nächstenliebe eines anderen profitiert, Eigenanstrengungen unternimmt, um seinem Wohltäter nicht länger als unbedingt erforderlich zusätzliche Auf- und Ausgaben aufzubürden. Alles andere wäre unmoralisch und würde weder dem Opfer noch seinem Wohltäter helfen. Der Samariter lässt den Verletzten gut versorgt in einer Herberge zurück. Damit ist für Jesus in der Bibel das Gleichnis zu Ende. Nirgendwo ist die Rede davon, dass der Samariter das Opfer in seinen Haushalt aufnehmen, für ihn Beiträge zahlen oder ihm eine lebenslange Rente aussetzen soll. Nächstenliebe gründet wie alle liberale Politik auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit oder Reziprozität, nicht auf einem System der Ausbeutung: Der Hilfsbedürftige wird nicht allein gelassen, sein Helfer aber auch nicht ausgenutzt.

        Es geht Liberalen nicht wie Thierse fälschlicherweise unterstellt immer nur um das nackte Aufrechnen von Leistungen und Gegenleistung, obwohl auch dagegen nichts grundsätzliches auszusetzen wäre, werden dadurch doch Anreize zum richtigen Handeln geschaffen. Der gute Samariter erwartet keine Gegenleistung. Jedenfalls ist von einer solchen Erwartung in der Bibel keine Rede. Er geht davon aus, dass der Verletzte nach seiner Genesung wieder auf eigenen Füßen stehen kann. Möglicherweise hofft er auch, dass ein anderer Wohltäter ihm selbst in einer ähnlichen Lage ebenfalls helfen würde. Da dies aber logischerweise nur eine Hoffnung sein kann, die nicht einklagbar ist, muss er seine Leistung erbringen, ohne dass er weiß, ob ihm irgendwann einmal eine Gegenleistung zuteil wird. Er muss also das Risiko eingehen, als guter Samariter zu handeln, ohne sicher sein zu können, dass ihm sein Handeln eines Tages vergolten wird. Dass er bereit ist, dieses Risiko einzugehen, verdient Respekt und macht ihn zum guten Samariter.

        Wenn Wolfgang Thierse also glaubt, dass die Geschichte vom guten Samariter als Gegenbeispiel zum „Neoliberalismus“ taugt, dann irrt er sich. Nächstenliebe, verstanden als die spontane Bereitschaft, freiwillig und ohne Erwartung einer Gegenleistung jemandem, der in Not ist ungeachtet seiner Person zu helfen: das ist das Gegenteil des Sozialstaats á la Wolfgang Thierse. Gute Samariter sind in einem solchen, auf Planwirtschaft, Bürokratie, Unmündigkeit, Zwang und Umverteilung angelegten System nur der Stoff, aus dem man Mythen und Legenden bildet und Rhapsodien komponiert. In der sozialdemokratischen Realität sind gute Samariter dagegen Störenfriede und Fremdkörper. 

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