Stand: 2. November 2001, 10:00 / 29.10.01
Sicherheit, “Deus ex Machina 2001” ?
29.10.01:
Edmund Stoiber, der Herr Ministerpräsident des Freistaates Bayern klagt über das fehlende Problembewusstsein von Grünrot angesichts der “Bedro- hung unserer Sicherheit”. Ob das Problembewusstsein der grünroten Spitzenleu- te ungenügend ist, sei dahin gestellt; wer will übrigens das wissen? Aber richtig ist ohne Zweifel: Das so genannte Sicherheitspaket II (“OttoKatalog”) in der be- kannt gewordenen Fassung von 28./29.10.2001 ist ein absolut unbefriedigendes Resultat “grünroten Regierens”, soll (international) organisierter Massenmord besser als bisher eingedämmt werden. Wenn die Kritik an den Überlegungen von Grünrot nichts anderes als “fehlendes Problembewusstsein zur Bedrohung der Sicherheit” hervorbringt, wird klar: Es spricht der konservative mit dem sozialisti- schen Obrigkeitsstaatler. Das Ergebnis muss Murks sein, als ob man versuchte mit einem kräftigen 20 cm langen Schraubenzieher eine mechanische Armband- uhr zu reparieren. Und sollten unsere vereinigten Obrigkeitsstaatler ihr Denken nicht überwinden, kann ihnen nichts als künftig kräftige Wahldebakel vorherge- sagt werden. Denn: Bedrohung von Sicherheit eliminieren zu wollen, heißt, der Staat könne dies leisten und der obrigkeitsstaatlich agierende Politiker wäre spe- zifisch und existenziell legitimiert. Aber die Aussage ist falsch und außerdem unredlich (i.S. von Wahlbetrug). Ist “Sicherheit bedroht”, so war das auch am 10.9.01 der Fall. Allerdings haben weder Edmund Stoiber, noch Otto Schily, noch Gerhard Schröder, noch Angela Merkel oder Joschka Fischer das gemerkt. Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Denn es gibt keine Sicherheit, wie sie rhetorisch den Menschen von den Vopas immer wieder untergejubelt wird. Die Eintrittswahrscheinlichkeit von Groß-Verbrechen, wie denen des 11.9.2001 war/ist früher, heute und künftig stets größer Null. Möglich sind ohne Zweifel Maßnahmen, um die Eintrittswahrscheinlichkeit von Groß-Verbrechen zu redu- zieren; aber die Bedrohung wird auch dann unter keinen Umständen ausgeschal- tet. Also mehr Sicherheit dafür weniger Produktion von Verbrauchs- und Investi- tionsgütern, das geht. Selbst verständlich kann nicht quantifiziert werden “wie viel” “Wie-viel” bringt. Statt diese simple Einsicht zuzugeben, verschanzen sich unsere Obrigkeitsstaatler hinter der Floskel des stark agierenden Staates, der die Dinge richte.
Unredlichkeit 2001. Lüge 2001. Es ist zum Schreien. 2001.
Weitergehend beachtenswert: So genannte Sicherheitsmaßnahmen mehren ggf. Unsicherheit. Gutes Beispiel die Starenkästen in Kölner Straßen, eingeführt
von der SPD und den Grünen vor 1999. Es stellte sich heraus, dass die Fahrer hier häufig bremsten und zusätzliche Auffahrunfälle verursachten. Ganz ähnlich Prof. Jörn Pachel (Eisenbahnwesen
und Verkehrssicherung) im Interview des KStA vom 26.10.2001, S. 2: “Bezogen auf den Unfall in Brühl ist eine deutliche Verein- fachung der betrieblichen Regelwerke (...) zu fordern, die heute
einen Komplexi- tätsgrad erreicht haben, die der sicherheitsgerechten Handhabung in der Praxis sehr hinderlich ist”. Werden also sichere Ausweise künftig gefälscht, werden die Behörden
potenzielle Verbrecher mit Sicherheit nicht erkennen. Sicherheit für Verbrecher, gut für die “Sicherheit”? Wann zieht die Maßnahme. Und in der Zwi- schenzeit: Wir haben doch angekündigt.
Toll.
Andererseits gibt es das Theater mit der Lieferung und der Verarbeitung von Per- sonendaten aller Art. Problem ist nicht so sehr die “Verdächtigung”
“Unschuldi- ger” (wer nichts zu verbergen hat ...). Was aber geschieht im Fehlerfall? Sind die Kosten für vergebliche Suche zu vernachlässigen? Wie wird Ausgleich für “Ge- schädigte”
hergestellt? In welcher Weise werden etwa leichtfertig falsch Handeln- de zur Verantwortung gezogen? Wird Sicherheit durch unausgegorene Konzepte, deren Anwendung nur Ärger produzieren würde,
erhöht?
Entweder die zuständigen Politiker wollen Unsicherheit gar nicht mindern in dem sie falsch gestaltete Maßnahmen unbedacht in Umlauf bringen, so dass
es keine andere Möglichkeit gibt, als diese abzulehnen oder die gleichen Leute wissen ganz genau, dass "Sicherheit" gar nicht machbar ist. Letzteres würde erklären, warum die
zahllosen Vollzugsdefizite nicht beseitigt werden. Dennoch wird mit virtuellen Maßnahmen jongliert und das Publikum mit Nachrichten über die An- nahme oder Ablehnung von Nonsens-Maßnahmen
abgelenkt. Hätten wir keine strengen "Beleidigungsparagrafen", würde manche Vermutung ihren Platz in die- sem Text finden.
Es bleibt dabei: Sicherheit, die Lebenslüge des Jahres 2001. Aber: international organisierte Bandenkriminalität eindämmen, das geht. Fähige
Politiker und Be- hörden benötigen weniger Mittel als unfähige. Der Diskurs allerdings, der lohnt, denn jedermann weiß, dass “100 % Fähigkeit” nicht machbar ist. Unwürdiges Getue sollten wir
uns im Dienste würdigen Umganges miteinander aber sehr wohl ersparen.
|