Stand: 20+19. Juli 2004, 18:00
Niemals Folter
Im Frühjahr 2004 wurde aus verschiedenen Anlässen in Deutschland über die Legalität von Folter nachgedacht und gesprochen. Im Sommer ist Geschichte bereits
weitergegangen, das Thema in der Öffentlichkeit inzwischen beerdigt. Aber es gab Grundsätzliches, deswegen beim Liberalen Tagebuch nicht zu den Akten gelegt.
Wir wollen Folter nie. Überwältigender Konsens. Überwältigend ausreichend, denn Einstimmigkeit ist Utopie. Die letztendlich geforderte Denk-Tabuisierung, etwa SZ
vom 19. Mai 2004, "Die Wahrheit der Folter", nicht nur Utopie son- dern auch völlig kontraproduktiv. Denn die Erhabenheit heutigen Seins besteht den Lackmustest erst in Absicht und künftigem Handeln; beschränkt sich Erha- benheit
jedoch auf noch so strenge (verbale) und scharfe (verbale) Verurteilung der Vergangenheit ist ebenso streng zu prüfen, ob Heuchelei im Spiel ist. Die Heuchel-Prüfung, das kritische Muss - es sei denn der Handelnde
wollte "weg- schauen", was wir bekanntlich schon einmal hatten.
Übrigens: W i r
das ist das deutsche Volk. Dazu zählt, sich, auch Michael Wolffsohn; erfreut einverstanden.
"Keine Folter" ergibt sich aus dem liberalen Menschenbild, das in der Theorie gut genug, in der Praxis von Sozialisten und Konservativen leider zu wenig geteilt wird.
Foltertheorie also gut genug, Folterpraxis Vieler, eher Anlass für geistige Gänsehaut. Es wäre weltfremd dies nicht einzusehen. Könnte der Liberale eine Ausnahme zulassen? Nein, aus rechtlichen Gründen. Ist/Sind qualifizierte Aus- nahme(n) denkbar? Auch nicht; denn liberales Menschenbild, Menschenwürde darin
enthalten, ist nicht verhandelbar. Wolfgang Gerhardt formulierte in Dresden am 6. Juni 2004, dass "nicht jedes Mittel angewandt werden kann, um Kriminalität zu bekämpfen. Wir sind dadurch verletzlich. Aber wenn
wir offen bleiben wollen, wenn wir freiheitlich bleiben wollen, müssen wir das in Kauf nehmen". Es sind Kampfbereitschaft oder -fähigkeit zwar von zwei- felhaftem realem Nutzen, aber auch deswegen vergeben wir
uns nichts, diese Schwäche, die - wunderbare Dialektik - praktisch entgrenzte innere Stärke vo- raussetzt, zuzugeben.
Die Situation der Extreme denken
Michael Wolffsohn zitiert in seinem J’accuse
die fiktive Geschichte des Niklas Luhmann, "Heidelberger Vorlesung", von 1992. Sie lautet leicht verändert: Ein Beamter (Exekutor unseres staatlichen Gewaltmonopols) weiß, aus welchen Gründen auch immer, mit absoluter Sicherheit, dass von zwei Verdächtigen ge- nau einer den Ort einer Bombe mit Zeitzünder in einem KKW kennt ... Muss der Geschichte auch nur eine Silbe hinzugefügt werden? Jedenfalls erzeugt Denk- Tabu beklemmenden Widerspruch und am Ende des Tages Heuchel-Demokratie.
In die Extremsituation kommen aus der persönlich-individuellen Sicht jedenfalls alle, die als Militärs, Polizisten, Agenten, Staatsanwälte und Richter mit tätiger
Sicherheit beauftragt sind. Es zählen dazu insbesondere also die Offiziere und Soldaten der Bundeswehr. Auf diese, ihre spätere persönliche Extremsituationen sind unsere "Bürger in Uniform" daher sorgfältig -
wie es seit Jahrzehnten auch geschieht - vorzubereiten. Es wäre unfair
angehende Militärs mit dem Problem der fiktiven Geschichte des Niklas Luhmann alleine zu lassen, ist doch hilfreich, dass Ältere ihre Erfahrungen weitergeben. Felsenfest in den Überzeugungen, oh- ne Zweifel bis in den Kern der Aussage
:
Niemals Folter. Menschenbild, liberales, geht nur reflexiv. Also wäre/ist foltern ein selbstentwürdigendes Verhalten. Nur so vorbereitete, mit eindeutigem und klaren Kompass Ausgestattete dürfen in den Berufsalltag, der das Gebot des Fremdtöten ausdrücklich einschließt, entlassen werden. Per Tabu ginge das nicht. "Die Wahrheit der Folter", der zitierte Bei-
trag aus der SZ, mit diesem zweiten Federstrich gedanklich abgeräumt; dennoch gut, dass "Die Wahrheit der Folter"
geschrieben wurde, weil Abgrenzung eben die unverzichtbare Klarheit verschafft.
Noblesse oblige. Noblesse obligé.
Nun hat Michael Wolffsohn im Frühjahr 2004 etwa in seinem J'accuse die "Legi- timität der Folter in Notwehrsituationen" (nach anderen) ins Gespräch gebracht. Nicht bestritten wird die Autonomie auch Undenkbares zu sprechen; immerhin ist eine Gewissensfrage aufgeworfen. Gewissen kann aber stets nur das eigene sein, deswegen ist es nicht akzeptabel sich zur Begründung des eigenen Stand- punktes auf das Gewissen anderer zu berufen; insofern mit Michael Wolffsohn also nicht einverstanden. Wo kämen wir hin, wenn eine Gewissensfrage, zumal fremdes Gewissen weder physikalisch real noch angesichts liberalen Men-
schenbildes ergründbar ist, dem spiegeldbildlichem Zitieren, der Diskussions- spirale im öffentlichen Diskurs überlassen u. ausgesetzt ist? So wie wir Michael Wolffsohn langjährig kennen, wird er der Aussage "Keiner ist zu Mord berechtigt, wenn der andere mordet" zustimmen; im übrigen gelten und werden hier positiv zur Kenntnis genommen, seine einschränkenden Aussagen in seinem Interview mit DIE WELT, erschienen am 26. Juni 2004.
Michael Wolffsohn ist dennoch zu Recht kritisiert worden. Dies beruht auf seiner Rolle als Hochschullehrer künftiger Militärs. Seine Äußerung konnte nicht privat
bleiben. Zu bekannt sein Name; zu unstrittig der Wille von Nicht-Folter in der deutschen Öffentlichkeit; zu nahe liegend sein vermutetes Motiv, nämlich die schwierige bis existenzbedrohende Lage Israels - eine Frage die
mitnichten unter den Teppich zu kehren ist. Unter all den genannten Bedingungen ist die gewollte Eindeutigkeit des Lehrinhaltes auch dann, wenn das Thema in seinem
Geschichtsunterricht mit keinem Wort erwähnt wird, nicht machbar. Immerhin ist denkbar, dass ein Student seinen Professor nach dem Verhalten im Falle der fik- tiven Luhmann-Geschichte fragt. Im öffentlichen Lehrplan einer öffentlichen Lehr- anstalt darf keine andere Antwort als der Verweis auf das Gewissen des Fragen- den erfolgen.
Unser Michael Wolffsohn muss all das einsehen.
Das Singuläre liberalen Denkens
Diese unzweideutig gemeinten Aussagen beruhen darauf, dass "wir" - Wiederho- lung - Folter unter keinem Umständen akzeptieren. Anders ausgedrückt:
"Wir" wollen nicht, dass gefoltert wird. Und: Auf die Begründung, warum wir, jeder Ein- zelne, Folter nicht wollen, hat, obwohl die Begründung kein Staatsgeheimnis ist, niemand Anspruch. Es wird nämlich der
Schutz des Einzelnen so, wesentlich, verbessert. Umkehrschluss: Aber jeder Einzelne hat Anspruch darauf, dass der je Andere dieses schlichte Nicht-Wollen so akzeptiert. Selbstverständlich ist zu all dem Anders-Denken
zulässig. Etwa Sozialisten und Konservative haben, ih- rem jeweiligen Begründungszusammenhang geschuldet, eben einen anderen Zugang zu Thema Gewissen: Sie neigen
zur Enteignung der Gewissen, weil das Kollektiv dann “besser funktioniert”. Aus liberaler Sicht: “Schade” - um den Ver- lust globaler, pauschaler Menschlichkeit.
Gemeinschaft unter den Bedingungen, die jeder Einzelne stellt
Wir sind das deutsche Volk, zu dem Michael Wolffsohn gehört; weil er das will und wir (anderen) das gerne auch so wollen - immerhin waren früher 1% der Deut-
schen auch Juden, derzeit sind es leider knapp mehr als 0,1%. Vordergründig ausgedrückt: Es nützt uns, wenn Juden zu uns zählen. Auch daher ist es unein- geschränkt akzeptabel, wenn Michael Wolffsohn seine
Mitgliedschaft im deut- schen Volk an Bedingungen knüpft. Jeder der 83.000.000 Millionen tut das. In seinem Fall, Jude, lauten die Bedingungen etwa: Keine Diskriminierung, keine Bedrohung, positives Tolerieren aus
Respekt seines Judentums. Schlafwandle- risch sicher, “ja”. Aber es gibt mehr: Michael Wolffsohn beansprucht, die "Legiti- mität der Folter in Notwehrsituationen" als Hochschullehrer für Militärs
vertreten zu dürfen. Damit sind wir nahe liegend (die Bundeswehrhochschule ist eine “öf- fentliche”) alle kompromittiert. Will Michael Wolffsohn auch, dass wir die "Legiti- mität der Folter in
Notwehrsituationen" dem israelischen Staat konzedieren? Auch das wollen wir nicht. Nicht nur weil Notwehr nicht klar genug definiert wer- den kann, sondern auch, weil dies das Hinnehmen aller Maßnahmen der israeli-
schen Regierung bedeuten muss. Bei aller Pflicht und Bereitschaft die Existenz- bedrohung Israels, gemeinsam mit anderen, zur Not alleine, abzuwenden: “Zu” problematisch manche Abwehrmaßnahme der
israelischen Regierung. Zu Ende gedacht, wäre Israel mit solch unkritischer Parteinahme auch gar nicht geholfen.
Mitgegangen, mitgehangen
Nun fühlt sich Michael Wolffsohn antisemitisch angegriffen. Hierzu vorab: Weder Wortlaut noch Stimmung oder Kontext aller Angriffe gegen ihn sind hier bekannt.
Bekannt ist lediglich, dass etwa durch die PM von Guido Westerwelle vom 26. Juni 2004, seine Eignung als Lehrer junger Soldaten infrage gestellt wurde. Die- ser Kritik ist zuzustimmen, denn Michael Wolffsohn,
hochangesehen, ist nicht irgendjemand. Michael Wolffsohn ist hoher Beamter des deutschen Staates, dem aufgrund seines Könnens und seiner Kompetenz eine Aufgabe mit hoher Verant- wortung übertragen wurde - weil
"wir" Michael Wolffsohn vertrauen. Michael Wolffsohn ist so "uns", dass wir besonders strenge Maßstäbe an sein Handeln legen müssen und auch wollen. Michael Wolffsohn hat die Kritik an seinen Äuße-
rungen vermutlich (vermutlich, weil hier nicht jedes Kritik-Wort bekannt ist) völlig überzeichnet wahrgenommen. Warum sollte sich Michael Wolffsohn nicht funda- mental irren können, auch dürfen? Selbstverständlich, denn
auch Michael Wolffsohn ist wie jeder ein autonomer Mensch
. Aber Irrtum kann (muss nicht) in seinem Fall Konsequenzen haben. Jedem anderen der 83.000.000 Deutschen geht es, jeweils relativ zu Aufgabe und Position, nicht anders.
Es bleibt die Frage, ob Michael Wolffsohn mit antisemitischer Motivation kritisiert wurde. Aus den Texten des J'accuse und dem erläuternden Interview dazu ergibt sich die antisemitische Motivation der Angriffe nicht. Etwa jeder Christ wä- re genauso in die Kritik geraten. Und kein Christ hätte das Recht seinen Missgriff mit dem Missgriff eines anderen Bürgers zu rechtfertigen. Schade, dass sich die öffentliche Aufregung ohne gründliche Diskussion gelegt hat. Schade, dass Michael Wolffsohn, der wie wir seit langem wissen, zur Umsicht mit dem Antise- mitismus Vorwurf geraten hat, nun in seinem eigenen Fall nicht gründlich argu- mentiert hat.
Dem Deutschen, Michael Wolffsohn, Mitglied unserer Elite, ein Stirnrunzeln ... sogar-auch-noch ohne Rekurs auf das Singuläre des liberalen Denkens.
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