Stand: 31. August 2004, 12:00 / 08.05.02 / 01.08.01 / 19.06.01
Der Mensch lernt
Jedermann hat persönlich erfahren: Lernen verändert Verhalten. Verhaltensände- rung, im weitesten Sinn des Wortes, ist schlechthin Zweck
jeglichen Lernens.
Lernen ist im Menschen ein Vorgang der Informationsverarbeitung. Menschen sind jedoch informationsverarbeitende Systeme
einer besonderen Art: Wei- tergehend als Computer verändert sich im Menschen nämlich erlebnisbedingt die Hardware (Plastizität,
z.B. Phantomschmerz) und erzeugt der Mensch seine Software sogar originär, d.h., ohne formalisierte „Tools“. Außerdem kann der Mensch ohne äußeren Anstoß bzw. Voraussetzung seine Datenbestände, ein- schließlich Software, auf einen anderen Menschen übertragen, d.h., im anderen Menschen reproduzieren. Aber komplett kann der Mensch sein Wissen auf ein anderes Individuum nicht übertragen. Denn die Grenze der Realität, die der Mensch sich selbst schafft, die also die Menschen sich selbst schaffen wird lau- fend verschoben und Wahrheit wird unentwegt neu definiert; so fällt bereits wäh- rend der Übertragung anderes / neues Wissen an, das seinerseits erst später weitergegeben werden kann. Im besten Fall lässt sich also ein Wissensgerüst übertragen, dass nach der Übertragung möglicherweise entsprechend dem Origi- nal vervollständigt wird. Es kann also eine Kopie elementaren Wissens gelingen; ob aber komplexes Wissen vollständig im anderen Menschen reproduzierbar ist, erscheint zweifelhaft. In diesen Umständen jedenfalls, liegen Quelle und Motor für Fortschritt des Wissens und der permanenten Evolution des Bewusstseins aller Menschen. (Mensch-Sein ist durch diese Aussagen selbstverständlich nicht erschöpfend behandelt).
Lernen Viele, ändert sich das Verhalten Vieler. Auch Forschen ist Lernen. Wer- den Erkenntnisse “veröffentlicht”, lernen Viele. Wird eine neue “Gesellschafts- theorie” bekannt, lernen
ebenfalls Viele; es verändert sich ihr Bewusstsein und logischerweise verändert sich aufgrund der zusätzlichen Erkenntnisse das Ver- halten dieser Vielen. Neue “Theorie der Gesellschaft”
verändert damit die Gesell- schaft und muss also, ggf. zeitversetzt, automatisch, ihre Gültigkeit einbüßen. Es ist, als ob sich die Katze in den Schwanz beißen wollte. Es funktioniert nicht.
Analogie aus der Physik: die Unbestimmtheitsrelation von Heisenberg. Es kann, so Heisenberg, nicht gleichzeitig Lage und Geschwindigkeit eines Elektrons bestimmt werden. Wissen Menschen, wann
sie welches Wissen lernen, also ihr Bewusstsein ändern werden? Gesellschaft kann sich nicht selbst erkennen. Dem widerspricht nicht, dass Einzelne sehr wohl mehr
Kenntnis über die Gesell- schaft haben können als die anderen Individuen; dies wird seit langem mit dem Wort Herrschaftswissen bezeichnet.
Ende also, jeglicher großen Theorie der Gesellschaft? Ja. Jenseits von Werte- politik, den gemeinschaftlich angestrebten Zielen, gibt es gibt keine Theorie der Gesellschaft.
Die Postulate jeder Wertepolitik sind damit Theorie in anderem Sinn:
Wertepolitik hat nämlich stets den Status “Soll” (idealtypisch anzustreben) und niemals den Status “Ist”; andernfalls stünden wir vor dem Ende philosophi- scher Evolution; dem widersprechen vorstehende Überlegungen und die histo- risch kumulierte Erfahrung der Menschheit. Diese Aussagen haben wertepoliti- sche und prozesspolitische
Konsequenzen.
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